„Ein interessanter Markt“

Chile wird also auch die dritte Tranche des „Strukturanpassungsdarlehen“ (Structural Adjustment Loan - SAL) der Weltbank erhalten. Hinter dem schwerfälligen Begriff versteckt sich eine einst prätentiöse wirtschaftspolitische Strategie und auch ein krudes Faktum: Das Weltkapital, der Imperialismus oder wie auch immer wir den Verein der Mächte und Mächtigen der Ersten Welt nennen mögen, will den Kollaps der chilenischen Wirtschaft und der Diktatur Pinochets verhindern. Wie schon die beiden gleich dicken Tranchen der Jahre 1985 und 1986 soll auch der diesjährige Weltbankkredit im wesentlichen infrastrukturelle Maßnahmen - diesmal im Gesundheits– und Finanzwesen - ermöglichen. Im letzten Jahr erhielt Pinochet zusätzlich 500 Millionen Dollar von Privatbanken, und auch dieses Jahr wird das Gütesiegel der Weltbank ihre Tresore öffnen. In gewisser Weise kann die Weltbankstrategie durchaus einen Erfolg verbuchen. Immerhin ist im vergangenen Jahr das Bruttosozialprodukt um über fünf Prozent gestiegen und das Land erzielte einen Handelsbilanzüberschuß in Höhe von 1,1 Milliarden Dollar. Daß die Arbeitslosigkeit ins Immense gestiegen ist, daß das Pro–Kopf–Einkommen heute 17 Prozent tiefer als 1970 liegt, und daß die Kinderprostitution zum Alltag Santiagos gehört, steht auf einem anderen Blatt. Chile ist das Land, das bisher die meisten Kredite von der Weltbank erhalten hat. Nach dem Putsch Pinochets im September 1973 war der Andenstaat Experimentierfeld par excellence der sog. Chicago–Boys der neomonetaristischen Schule Milton Friedmans. Mit der Zerschlagung jeder sozialen und politischen Opposition herrschten quasi Laborbedingungen für eine wirtschaftspolitische Strategie, die auf Privatisierung staatlicher Unternehmen, auf Reduzierung öffentlicher Aufgaben, Abbau von Zollschranken und Exportorientierung der Wirtschaft setzte. Wenn in den 14 Jahren Diktatur Tausende von Kleinbetrieben schließen mußten, weil sie mit den Produkten aus den USA und Europa, aus Taiwan und Singapur nicht konkurrieren konnten, und wenn heute die Alters– und Sozialversorgung der Chilenen nicht nur vollständig in privaten Händen ist und direkt von US–Finanzgruppen kontrolliert wird, sondern auch unter dem Leistungsniveau von 1970 liegt, ist dies wesentlich der Strategie der Chicago–Boys in den 70er Jahren zu verdanken. Chile galt und gilt als Musterschüler der Finanzwelt. Kaum ein Land, das seinen Zahlungsverpflichtungen so pünktlich nachkommt und sich so vorbehaltlos den Bedingungen der Geldgeber unterworfen hat. Das war nicht immer so. Ein Rückblick sei gestattet. Nach dem Wahlsieg der „Unidad Popular“ 1970 drehten die internationalen Finanzinstitutionen den Geldhahn zu. Die sozialliberale Regierung in Bonn fand zwar immer wieder Worte der Anerkennung für den sozialistischen Präsidenten Allende und seinen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Staatssozialismus. Doch gleichzeitig wurde die Kapitalhilfe drastisch gekürzt, die Vergabe zinsgünstiger Kredite gestoppt und die Umschuldungsverhandlungen blockiert. Doch siehe da - 1974, die Ermordung Allendes im Präsidentenpalast lag noch kein Jahr zurück - unterzeichnete die Bundesregierung ein Umschuldungsabkommen mit Chile zu Bedingungen, von denen andere Gläubigerländer nur träumen konnten. Doch man darf der Gerechtigkeit halber nicht vergessen, daß das schließlich andere Zeiten waren. Die CDU hatte die Menschenrechtsverletzungen noch nicht öffentlich entdeckt. Im Gegenteil: Bruno Heck, heute Chef der Konrad–Adenauer–Stiftung, befand einen Monat nach dem Putsch, daß das Leben im Stadion von Santiago, wo damals über zehntausend Oppositionelle eingesperrt waren, gefoltert und zum Teil ermordet wurden, „bei sonnigem Frühlingswetter recht angenehm“ sei. „Der so lang erwartete Eingriff der Militärs hat endlich stattgefunden“, kabelte die Hoechst–Niederlassung in die Heimat, und das Blut an den Stiefeln der Militärs war noch nicht getrocknet, als die Dresdner Bank den neuen Machthabern schon finanzielle Unterstützung anbot. „Es wird ein interessanter Markt sein“, schrieb die Hoechst– Niederlassung aus Santiago an ihre Mutter in der BRD, und die Erhöhung der Bundesbürgschaft für Geschäfte mit Chile begründete die Bonner Regierung 1975 mit den „energischen Maßnahmen (der Diktatur Pinochets), der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Herr zu werden“. Ganz in dieser Tradition basiert nun offenbar auch die gestrige Zustimmung der Bundesregierung zum Weltbankkredit auf rein wirtschaftlichen Erwägungen. Die Bundesregierung, so schrieb Kohl an Pinochet, „hält sich - wie alle früheren Bundesregierungen - an die bislang stets eingehaltenen Satzungen der Weltbank, einzelne Entscheidungen nicht zu politisieren“. Thomas Schmid