Eine politische Lösung ist nicht in Sicht

Der besetzte Gaza–Streifen ist ein harter Brocken für Israel: Nicht herunterzuschlucken, aber auch nicht auszuspucken bleibt er im Halse stecken und wird immer lästiger. Versuche, diesen Brocken loszuwerden, hat es schon verschiedentlich gegeben. Kurz nach der Unterzeichnung des Camp– David–Abkommens im Jahre 1978 trat der jetzige Außenminister Shimon Peres (Arbeiterpartei) mit dem „Gaza First“– Plan an die Öffentlichkeit. Danach sollte das in Camp David beschlossene und von den Palästinensern abgelehnte Autonomie–Projekt unter israelischer Herrschaft zuerst im Gaza–Streifen erprobt werden. Doch der Vorschlag fand keine Unterstützung. Eine neuere Version von „Gaza First“, die die von den Palästinensern angestrebte Einheit der Westbank und des Gaza–Streifens verhindern sollte, wurde im vergangenen Jahr ebenfalls von Peres unterbreitet. Diese Variante sah eine Einbeziehung Ägyptens bei der Verwirklichung einer lokalen Selbstverwaltung vor; doch Kairo wollte weder den Palästinensern, noch Jordanien in den Rücken fallen, und Staatschef Mubarak lehnte dankend ab. Die dritte Auflage der „Gaza– First“–Initiative erfolgte just in den letzten Tagen der palästinensischen Protestbewegung gegen die Besatzung. Diesmal schlug Peres eine „Demilitarisierung des Gaza–Streifens“ vor - nach einer politischen Lösung. Doch auf die Frage, wie eine solche politische Regelung aussehen sollte, gibt es keine Antwort, denn die Arbeiterpartei fürchtet ihre eigene Courage und möchte nicht riskieren, von der Rechten als defätistisch beschimpft zu werden - als eine Partei also, die bereit ist, erobertes Land aufzugeben, damit die Palästinenser Gelegenheit erhalten, dort ihr eigenes Staatswesen zu gründen. Während Peres durchaus sieht, daß der Gaza–Streifen mit seinen 650.000 Palästinensern eine enorme Belastung und auch Gefahr für Israel bedeutet, will der Likud–Block unter Ministerpräsident Itzhak Shamir „befreites, verheißenes Land“ um jeden Preis behalten. Ihn kümmert auch das demographische Problem nicht. Wenn Experten dem Ministerpräsidenten vorhalten, in zwölf Jahren würden eine Million Palästinenser allein im Gaza–Streifen leben, antwortet Shamir mit einem „kommt Zeit, kommt Rat“. Dabei kann er sich auch auf einen Führer der Arbeiterpartei berufen, den ehemaligen Außenminister Jigal Allon, der unmittelbar nach dem Krieg von 1967 einen eigenen Plan vorgelegt hat. Dort heißt es: „Der Gaza–Streifen bleibt ein untrennbarer Bestandteil des Staates Israel (...) Die formelle Angliederung an den Staat erfolgt nach der Übersiedlung der Flüchtlinge nach außerhalb des Gaza–Streifens.“ Wohin der Transfer gehen soll, bleibt ungeklärt. Zu diesem Thema des „Palästinenser–Transfers“ gibt es eine Reihe von Durchführungsvorschlägen seitens Likud– oder Likud–naher Politiker. Man möchte das Land, aber möglichst ohne seine Bewohner. Kein Wunder also, daß die gegenwärtige Protestbewegung auch die Kontroverse zwischen Arbeiterpartei und Likud–Block, die derzeit eine Koalitionsregierung bilden, wieder neu entfacht hat - umso mehr, als im nächsten Jahr Wahlen anstehen. Eine wichtige Rolle bei dieser Kontroverse spielt das Argument der sogenannten „demographischen Zeitbombe“, die den „jüdischen Charakter Israels“ und seine Demokratie gefährdet. Als die gegenwärtigen Zusammenstöße im Gaza–Streifen gerade ausgebrochen waren, legte die israelische Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten eine Untersuchung über die demographische Entwicklung im Gaza–Streifen in den kommenden zwölf Jahren vor. Von soziopolitischen Aspekten ist dort zwar nicht die Rede, doch der Militärkommentator der Zeitung Haaretz merkt zu diesem Bericht an: „Wir sehen uns von einer menschlichen Zeitbombe bedroht, und der Tag wird sehr bald kommen, an dem wir kniefällig darum betteln werden, daß man uns vom Gaza–Streifen mit seinen Plagen befreit.“ Aus dem trockenen statistischen Material geht hervor, daß sich die palästinensische Bevölkerung in dem jetzt schon überfüllten Gebiet bis zum Jahre 2000 verdoppelt haben wird. Falls entsprechende Pläne realisiert werden, sehen sich dann 30.000 (heute: 2.000) jüdische Siedler einer Million Palästinenser gegenüber. Angesichts der zu erwartenden Bevölkerungsexplosion wird die Not und die Frustration rapide zunehmen, vor allem, da nichts für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Region unternommen wurde. Immer größere israelische Truppenverbände werden nötig sein, um „Ruhe und Ordnung“ aufrechtzuerhalten. Wie lange noch kann Israel diese Situation ignorieren und eine staatenlose Bevölkerung aller Rechte und angemessener Existenzmöglichkeiten berauben? Unter solchen Umständen wäre es eher überraschend, wenn sich Aufstände wie der jetzige in Zukunft nicht wiederholen würden. Amos Wollin