Asylmauer kräftig aufgestockt

■ Bundesrepublik und fünf weitere Staaten einigten sich auf Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge / Es droht eine Änderung des Artikel 16 Grundgesetz / Menschenrechtsorganisationen befürchten Absperrung Europas

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Die Unterzeichnerstaaten des sogenannten Schengen–Abkommens - die Bundesrepublik, Frankreich und die Beneluxländer - haben sich auf ihrer gestrigen Sitzung in Berlin auf Grundzüge einer „Harmonisierung des Asylrechts“ geeinigt. Eine Vertragsunterzeichnung gebe es zwar noch nicht - so der Vorsitzende des Schengen–Treffens, Kanzler Kohls Staatssekretär Schreckenberger -, doch sei man „ein gutes Stück vorangekommen“. Schon im Frühjahr 1988 wollen die fünf Teilnehmerländer einen entsprechenden Staatsvertrag schließen. In bezug auf restriktive Maßnahmen gegen Asylbewerber ist es schon gestern zu einer weitgehenden Einigung gekommen. Fest steht danach, daß die fünf Staaten im Zuge eines Abbaus ihrer Binnengrenzen zu einheitlichen Visabestimmungen für Ausländer kommen wollen und daß sämtliche Fluggesellschaften, die Ausländer ohne ein solches Visum befördern, Bußgelder zahlen müssen. Einig waren sich die fünf Länder auch darin, Informationen über einzelne Asylbewerber auszutauschen. Von diesem Informationsaustausch sollen Daten über die Asylgründe des einzelnen Flüchtlings ausgenommen sein. Beschlossen haben die Vertreter der „Schengen“–Länder auch, daß Asylbewerber in Zukunft nur noch in einem der Mitgliedsstaaten einen Asylantrag stellen können. Von den übrigen Ländern können sie abgewiesen werden, wenn sie dort erneut um Schutz nachsuchen. Auf die Frage, wie sich das mit dem Grundrecht auf Asyl in der Bundesrepublik vereinbaren lasse, deutete Staatssekretär Schreckenberger gestern eine Änderung des Artikel 16 des Grundgesetzes an: „In der Tat, Artikel 16 ist zu prüfen, aber im Sinne des Zusammenwachsens Europas ergeben sich andere Akzente.“ Amnesty international, Flüchtlingsgruppen und Menschenrechtsorganisationen hatten einen Tag vor dem Treffen der Schengen–Länder davor gewarnt, mit einer solchen Einigung Flüchtlingen den Weg nach Europa fast gänzlich zu versperren. Nach dem gestrigen Treffen haben sich diese Befürchtungen noch bestätigt, denn inzwischen hat nicht nur Italien, sondern auch Österreich seinen Beitritt zu dem Schengen–Abkommen beantragt, womit die Asylmauer um zwei weitere Staaten gezogen würde. Die Vertreter der Schengen–Staaten reagierten gestern mit Unverständnis auf besorgte Nachfragen. Niemand habe die Absicht, eine Mauer um Europa zu ziehen, meinte der Vertreter Luxemburgs in bester Walter Ulbricht–Manier.