Ruhe bitte!

■ Zum Führungswechsel in der CSSR

Vor einem Jahr gab es in der CSSR erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder eine politische Brise. Die Parteiführung mußte auf die neuen Moskauer Töne reagieren; und diese Töne ähnelten jenen, die sie einst gewaltsam zu beseitigen half. Als Sprecher eines Flügels profilierte sich Ministerpräsident Strougal. Er forderte nicht nur eine tiefgreifende Wirtschaftsreform, sondern sogar eine Demokratisierung. Sie müsse auch „denjenigen eine Chance geben, die dieses Land lieben“. Den Gegenflügel repräsentierte der ZK–Sekretär Bilak. Er stand zu seiner Vergangenheit und versetzte seine Kollegen mit dem Demokratisierungsgespenst von 1968 in Panik. Strougal wie Bilak gehörten zu jener Gruppe, die 1968 die sowjetischen Truppen ins Land gerufen hatte. Auch der neue Parteichef Jakes gehörte dazu. Nur hat er sich in der letzten Zeit nicht aus dem Fenster gehängt und konnte so zum Kompromißkandidaten werden. Immerhin war er nach 1968 für die Säuberungen zuständig und bürgt somit für die Kontinuität von Ruhe und Ordnung. Um eine Reform kommt auch er nicht herum, denn erstens leidet auch die CSSR–Wirtschaft unter den systemüblichen Mängeln, und zweitens will in Moskau gerade jeder die Reform. Andererseits steht das Land ökonomisch relativ gut da: Die Versorgung funktioniert, und kein internationaler Währungsfonds sitzt dem Land wegen Schulden im Nacken. Das garantiert auch, daß die unpolitische Schrebergartenatmosphäre ungestört bleibt. Auf eine Liberalisierung darf man weiter warten. Sollte in Moskau Gorbatschow durch Ligatschow abgelöst werden - Jakes wäre sein idealer Verbündeter. Erhard Stölting