Südkorea: Nach der Wahl die Qual

■ Straßenschlachten in Seoul und anderen Städten / US–Wahlbeobachter bestätigen Betrugsmanöver

Aus Seoul Nina Boschmann

Während das US–Außenministerium den Ablauf der südkoreanischen Präsidentschaftswahlen vom letzten Mittwoch als „im großen und ganzen ordentlich“ preist, hat gestern erstmals eine der mehreren in Seoul gastierenden US–Delegationen die Vorwürfe der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Opposition über massive Betrugsmanöver bestätigt. Zwei Tage nach den Wahlen kam es gestern in einigen Städten zu Spontanprotesten gegen den Sieg des Regierungskandidaten Roh Tae Woo. Die aus VertreterInnen der demokratischen und republikanischen Partei sowie aus mehreren renommierten Korea–KennerInnen und Wahlexperten bestehende 18köpfige Gruppe erklärte gestern vor der Presse: „Mitglieder unserer Delegation haben in den vergangenen drei Tagen Seoul, Chonju, Kwanju, Pusan, Taegu, Taejon und einige kleinere Städte besucht. Wir haben uns Wahllokale und Zählstellen angesehen und mit so vielen Menschen wie möglich gesprochen: Fortsetzung auf Seite 6 „Wir sind sehr betroffen von den Mißbräuchen, die wir an allen genannten Orten gesehen haben.“ Allein in vier der sechs besuchten Städten seien Wahlbeobachter zusammengeschlagen oder mit dem Tode bedroht worden, zweimal sprachen sie mit Bürgern, die Schmiergelder kassiert hatten, in Taejon wurde eine Mehrfachwählerin dingfest gemacht und in Seoul eine versiegelte Wahlurne außerhalb eines Wahllokals gesichtet. Weiter sei über die vielfältige Einflußnahme der Regierung im Vorfeld der Wahlen „weder in der koreanischen noch in der internationalen Presse hinreichend ausführlich“ berichtet worden. Trotzdem mochte sich die 18er– Gruppe nicht darauf festlegen, ob die Betrügereien das Endergebnis beeinflußt hätten ober ob es sich eher um „Aktivitäten übereifriger lokaler Autoritäten“ handele. „Wir haben keine rauchenden Pistolen gesichtet und insofern können wir schlecht sagen: durch und durch betrügerisch“, so ein Mitglied. „Wir haben die Integrität des Ablaufs überprüft und da haben sich natürlich selbst die konservativsten unter uns geärgert, als sich bei der Opposition die Beweise stapelten und die Regierung keinen einzigen Zwischenfall zugibt.“ Wie damit umzugehen sei, müsse letztlich das koreanische Volk entscheiden. Das aber wartet weiter ab - zumindest zum größten Teil, geweint wird im Stillen. Niemand jubelt, und einzig die Börse zeigt sich optimistisch. Eine Verzweiflung und Ratlosigkeit, die nur selten Worte findet. Ein Angestelter bei einer Handelsgesellschaft hat sich noch nicht entschieden: den Versprechungen des Siegers Roh traut er höchstens zur Hälfte. Aber die Opposition, so meint er, hat auch nur zu 60 Prozent recht. „Ich habe die ganze Nacht davon geträumt, was aus unserem Land bloß werden soll.“ Ob er sich an Protesten beteiligen würde? „Das kommt darauf an, was die Kims sich einfallen lassen. Denn ich habe schließlich meine Arbeit und kann nicht den ganzen Tag demonstrieren.“ Die Kims aber sind von einem neuen Patentrezept noch weit entfernt. Ein für gestern angesagter Auftritt fiel mangels Einigkeit über ein gemeinsames Vorgehen aus. An einem tragfähigen Kompromiß wird in den Hinterzimmern gefeilt. In der Innenstadt von Seoul lieferten sich etwa 300 Studenten den ganzen Nachmittag über Straßenkämpfe mit mehreren martialisch aufgemachten Polizeieinheiten. Die große Hauptstraße Chongno samt den angrenzenden U–Bahn– Stationen waren über Stunden in dichte Reizgasnebel gehüllt, über mehrere Kilometer hinweg wurden die Bürgersteigplatten zu Wurfgeschossen umfunktioniert. In der südwestlichen Metropole Kwanju sowie einer Vielzahl von kleineren Städten hatten wütende Bürger bereits am Donnerstag mit sit–ins in öffentlichen Gebäuden begonnen; die Auszählung der Stimmen ging vielerorts nur unter „Polizeischutz“, jedoch ohne Bürgerschutz vonstatten. Wahre Horrorberichte kamen aus dem südwestlich Seoul gelegenen Industriegebiet Kuro, wo Studenten und Bürger in den letzten Tagen nach massiven Betrugsmanövern das Bezirksrathaus besetzt hielten. Nachdem ein dort gebildetes „Seoul Region Struggle Committee for Nullification of the Election“ gestern nacht in einem Flugblatt erklärte, die Vorgänge in Kuro seien „ein Symbol für den landesweiten Wahlbetrug“, machten sich in den frühen Morgenstunden an die 70 Polizeiwannen samt Besatzung - darunter auch die gefürchteten „Baekgol Dan“–Sondereinheiten - daran, die in dem mehrstöckigen Gebäude hinter Barrikaden verschanzten BesetzerInnen aufzumischen. Bei den bis um neun Uhr morgens andauernden Schlachten soll mehrfach Feuer im Rathaus ausgebrochen sein, mindestens drei Studenten stürzten sich aus Verzweiflung vom Dach des Gebäudes, andere brachen unter massivem Gasbeschuß ohnmächtig zusammen. Mindestens 900 Leute wurden festgenommen, unbestätigten Augenzeugenberichten zufolge soll es auch Tote gegeben haben. Das Gebiet ist weiträumig abgesperrt.