Malaysias Opposition hinter Gittern

■ Premier Mahathir fürchtet um sein Regime / Ethnische Konflikte und Rivalitäten in der Regierung bilden den Hintergrund der Verhaftungswelle

Aus Kuala Lumpur Rainer Hörig

Dem ersten Anschein nach ist Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur ruhig. Nur selten sieht man Polizeikontrollen und Armeelastwagen in den Straßen. Unter der Oberfläche aber wächst die Furcht vor staatlicher Repression. Kritische Journalisten und Oppositionelle scheuen die Öffentlichkeit. Nach der Verhaftungswelle und der Verschärfung des Pressegesetzes ist die öffentliche Diskussion über die brennenden innenpolitischen Probleme des Landes verstummt. Ich suche das Büro der „Environment Protection Society of Malaysia“ (EPSM), auch bei deutschen Umweltschützern als rührige Basisinitiative bekannt. Ihr Vizepräsident Ka Kheng sitzt wie etwa 100 weitere Oppositionelle seit dem 27.Oktober hinter Gittern. Nach einer halben Stunde Taxifahrt finde ich das Büro verschlossen vor. Im Postkasten steckt ein ganzer Stapel nicht abgeholter Briefe. Durch das Fenster erscheinen die Büroräume wüst und verlassen. Die Nachbarn wissen anscheinend überhaupt nichts über EPSM. „Ich kenne diese Leute überhaupt nicht“, antwortet man mir durch die geschlossene Wohnungstür. Durch einen Spalt unter der Tür des Büros erkenne ich, daß der Fußboden mit Papierfetzen übersät ist - Spuren einer Hausdurchsuchung? Ich werde nervös, erfasse nun erst die Tragweite der Repression. Offenbar sind die Mitarbeiter der Umweltschutzgruppe untergetaucht. Der Besuch am Wohnhaus des Präsidenten von EPSM, Gurmit Singh, verstärkt diesen Eindruck - das Tor ist mit einer Kette verschlossen, im Haus ist kein Lebenszeichen zu erkennen. Die Journalisten der verbotenen Tageszeitung The Star sind nicht zu einem Gespräch zu bewegen. Das Büro der größten Oppositionspartei DAP ist geschlossen und wird von der Polizei bewacht. Mitte Oktober gab die Regierung bekannt, daß chinesische Mittelschulen in Zukunft auch von malayischen Lehrern geleitet werden könnten. Chinesen aller Couleur protestierten vehement gegen die Gefährdung ihrer kulturellen Identität. Die aufgeheizte Stimmung bewirkte, daß der Amoklauf eines malayischen Soldaten am 19.Oktober mitten in Kuala Lumpur, dessen Schüsse aus einem M–16–Gewehr zwölf Verletzte und zwei Todesopfer forderten, zu Panik in der Bevölkerung und Hamsterkäufen führte. Eine Woche später verhaftete die Polizei überall im Lande Oppositionspolitiker, Menschenrechtler, Umweltschützer und sogar einige Angehörige der Regierungspartei, die die Führerschaft des Premierministers infrage gestellt hatten. Drei regierungskritische Zeitungen wurden sofort verboten. Einen Monat später, und/oder Gefängnis bis zu drei Jahren bedroht, falls sie „falsche Nachrichten“ verbreiten. Zusätzlich erließ die Regierung ein Verbot für politische Versammlungen. „Wir befinden uns auf dem Weg in die Diktatur, anders kann ich es nicht beschreiben. Zeitungen werden ohne Grund verboten, Menschen ohne Begründung inhaftiert!“ Mit diesen Worten kommentierte Tunku Abdul Rahman die derzeitige Lage. Der heute 84jährige erste Premierminister des unabhängigen Malaysia ist der einzige namhafte Politiker, der zur Zeit Kritik an der Regierung äußern kann. Dr. Mahathir Mohamad, seit 1981 Premierminister und gleichzeitig Innenminister, rechtfertigte die Regierungsaktionen mit der Gefahr erneuter Rassenunruhen. Eine zu mächtige Minderheit? Seit der Unabhängigkeit 1957 ist es erklärtes Ziel der Regierung, den Malayen die Vorherrschaft zu sichern. Der Islam ist Staatsreligion. Die malayische Sprache wird als Instrument der Integration staatlich gefördert. Die in den Städten konzentrierten Chinesen, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, dominieren die Wirtschaft des Landes. Die Malai–Bevölkerung lebt überwiegend auf dem Land in ärmlichen Verhältnissen. Im Mai 1969 entluden sich die sozialen Spannungen zwischen Malayen einerseits sowie Chinesen und Indern andererseits in blutigen Straßenkämpfen in der Hauptstadt, die Hunderte von Menschenleben forderten. Seither haben die Regierenden versucht, den wirt schaftlichen und gesellschaftlichen Einfluß der Malayen zu fördern, ohne die anderen Ethnien zu verprellen. Das schnelle wirtschaftliche Wachstum während der siebziger Jahre sollte in erster Linie den Malayen zugute kommen. Staatliche Landerschließung, Kreditprogramme und Kooperativen verbesserten die wirtschaftliche Situation der Landbevölkerung. Das bis 1990 ins Auge gefaßte Ziel, 30 Prozent der Wirtschaftskraft in malayische Hände zu lenken, ist jedoch aufgrund der jüngsten Rezession wieder aufgegeben worden. Raubbau und Korruption Ethnische Spannungen können jedoch nicht als einziger Grund für die jüngste Repressionswelle angesehen werden. Premierminister Mahathir sieht sich einer starken Dissidentenfraktion innerhalb der regierenden UMNO–Partei gegenüber. Einige der verhafteten Politiker hatten die Wahlen zum Parteivorsitz im vergangenen April, die Mahathir nur knapp gegen seinen Rivalen Hamzah gewann, gerichtlich angefochten. Die Vergabe des Kontraktes zum Bau einer fast einer Milliarde Mark teuren Nord–Süd–Autobahn in Westmalaysia an eine Firma, die sich im Besitz der Regierungspartei befindet, hat Mahathir den Vorwurf der Korruption eingebracht. Die Anklagen von Umweltschützern gegen den Raubbau am Wald finden immer mehr Gehör in der Öffentlichkeit. Einer der im Oktober Verhafteten, Harrison Ngau von der malayischen „Friends of the Earth“–Gruppe (SAM), hatte im Sommer eine Delegation von Ureinwohnern Borneos nach Kuala Lumpur begleitet, um die Regierung zum besseren Schutz der lebenswichtigen Regenwälder zu bewegen. Im Vorfeld des ASEAN–Gipfels in Manila hat die Regierung sanftere Töne angeschlagen und 44 der im Oktober Verhafteten freigelassen. Mit dem Gesetz zur inneren Sicherheit, das nach dem Zweiten Weltkrieg zur Bekämpfung der kommunistischen Aufständischen geschaffen wurde und die Inhaftierung bis zu 60 Tagen ohne Gerichtsverfahren erlaubt sowie mit dem neuen Pressegesetz, hat der angeschlagene Premierminister Mahathir aber genügend Mittel zur Hand, jegliche Opposition gegen sein Regime mundtot zu machen.