„Gefahr im Verzug“

„Wohin wollt Ihr denn? Die Anzeigenabteilung ist ein Stockwerk tiefer“. Die freundliche Frage der taz–Redakteurin wurde nicht beantwortet. Schnurstracks strebte das adrett gekleidete Paar, ein jungdynamischer Herr mit Schnauzer und eine blonde Dame, Freitag nachmittag gegen 17.15 Uhr quer durch die taz–Räume zu einer Treppe, die ein Stockwerk tiefer führt. Dort befindet sich die Alternativdruckerei „Konfront“, und separat davon das Foto– und Repro–Labor der taz. Auf der Treppe waren bereits uniformierte Polizeibeamte postiert, ein Ziviler aus dem BKA fuchtelte mit einem Sprechfunkgerät. Der Trupp war just dabei, die Druckerei durchzuwühlen und die Personalien aller Anwesenden zu notieren: „Gefahr im Verzuge“, deshalb brauchte man keinen Durchsuchungsbeschluß. Die Herren mit dem hessischen Akzent weigerten sich penetrant, ihre Ausweise zu zeigen und den Grund ihrer Aktion zu benennen. Stattdessen versuchten sie, die Anwesenden auszuquetschen, wo denn eine gewisse Monika oder Adrienne Gershäuser ihren Arbeitsplatz habe. Doch damit konnten die Drucker und die herbeigeeilten tazler nicht dienen. Dem taz–Fotografen wurde während der rund einstündigen Razzia verwehrt, zu seinem Arbeitsplatz im Fotolabor zu gehen. Der Hamburger Lokalteil erschien deshalb am Samstag ohne Fotos auf den aktuellen Seiten. Der Protest der taz–Mitarbeiter, man erwäge eine Schadensersatzklage, wurde mit dem coolen Hinweis beantwortet, dann müßten sie sich an das BKA wenden. Der „Chef vom Dienst“, der an jenem Tag die Produktionsleitung des taz–Lokalteils innehatte, hat inzwischen Strafanzeige wegen Nötigung und Freiheitsberaubung gestellt. Er wollte in der Druckerei nach dem Rechten sehen und wurde rund eine Dreiviertelstunde lang dort festgehalten. Trotz Vorlage eines Presseausweises und eines Hinweises, er sei in der Redaktion absolut unabkömmlich, wurde er nicht an seinen Arbeitsplatz zurückgelassen. Wenn nicht eine andere Redakteurin eingesprungen wäre, wäre die Hamburgausgabe am Freitag „abgestürzt“. Auch die Einschaltung ihres Anwalts nutzte der taz nichts. Der Einsatzleiter weigerte sich, mit ihm zu telefonieren, er verwies aufs Polizeipräsidium, wo nähere Auskünfte gegeben würden, was aber dann nicht der Fall war. Schließlich wurde auch das taz– Fotolabor gründlich durchsucht. Die BKA–Beamtin durchwühlte sogar den Abfallkorb. Ein Flugblatt über die Stahlarbeiteraktionen in Rheinhausen sollte beschlagnahmt werden, doch es ging verloren. Auf der Suche nach der angeblichen Terroristin wurden sogar Schachteln mit Fotopapier geöffnet. Die einzige Auskunft der Beamten, man habe den Hinweis erhalten, daß Frau Gernshäuser in dieser Etage ihren Arbeitsplatz habe, mutete die Anwesenden überhaupt seltsam an. Die Aktion machte auf sie vielmehr den Eindruck, als ob die im Hinblick auf die „RZ“ bislang weitgehend erfolglose Bundesanwaltschaft dringend Material aller Art in die Hand bekommen wollte. Aber die Razzia bei „Konfront“ gehörte allem Anschein nach zur Aktion „Schlag ins Wasser“: Es wurde nichts beschlagnahmt. Doch noch schlimmer muten die anderen Durchsuchungen am Freitag an, die allesamt den Eindruck von willkürlicher und blinder Wühlerei in Szene–Zusammenhängen hinterließen. Eine Setzerin einer Alternativ– Setzerei wurde an ihrem Arbeitsplatz wegen angeblicher Beteiligung an einem Sprengstoffattentat festgenommen und zum Haftrichter nach Karlsruhe geflogen, der einen Haftbefehl erließ. Nach letzten Informationen soll sie sich jetzt wieder in Hamburg im Untersuchungsgefängnis befinden. Gleichzeitig wurde eine Wohnung, in der sie angeblich wohnt, rund sechs Stunden lang durchsucht. Die Beamten hatten sich Zutritt verschafft, indem sie gegenüber Nachbarn behaupteten, sie hätten Hilferufe aus der Wohnung gehört. Die hilfsbereiten Nachbarn stellten eine Leiter zur Verfügung, mit der die Beamten über ein zuvor eingeschlagenes Fenster in die Wohnung einstiegen. Ein von der Wohnungsinhaberin alarmierter Rechtsanwalt wurde nach kurzer Verweildauer aus der Wohnung verwiesen. Nach seinen Angaben drehten ihm zwei Polizisten den Arm um und schoben ihn auf diese Weise fünf Stockwerke herunter aus dem Haus. Die Polizei beschlagnahmte mehrere Säcke mit persönlichen Gegenständen. Außerdem wurden vier weitere Wohnungen aufgebrochen und durchsucht. Und schon am Vormittag war ein Alternativbuchladen wegen eines angeblich für die „RZ“ werbenden Beitrags in der Oktoberausgabe der Stadtteilzeitung Schanzenleben heimgesucht worden - diesmal nicht vom BKA, sondern vom Hamburger Staatsschutz. Ute Scheub