Einig gegen die israelische Besatzung

■ Bei den Auseinandersetzungen im Gaza–Streifen werden politische Differenzen hintangestellt: Anhänger verschiedener PLO–Organisationen, islamische Fundamentalisten, Alte und Junge ziehen am gleichen Strang

Gaza (wps) - Ein Plakat, das am Samstag bei der Trauerfeier für Abdul Fteihah im palästinensischen Flüchtlingslager Bureij zu sehen war, zeigt geradezu symbolträchtig, wie einträchtig die ansonsten oft zerstrittenen politischen Strömungen derzeit im Gaza–Streifen an einem Strang ziehen. Es sind weniger die Worte auf diesem Plakat, die dem Koran entnommen sind, als vielmehr die handgemalten palästinensischen Fahnen, die verdeutlichen, daß islamisch–fundamentalistische und nationalistische Kreise zu einer Einheitsfront gegen die israelische Besatzung zusammengefunden haben. Der 26jährige Fteihah ist mindestens der dreizehnte Tote aus dem Gaza–Streifen seit Beginn der Auseinandersetzungen am 9. Dezember. Er wurde am vergangenen Freitag erschossen, als es nach dem Gebet in der Moschee zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten kam. Fteihah war strenggläubiger Moslem, aber es war einer der laizistisch gesonnenen Trauergäste, der am Rande der Versammlung erklärte: „Dieses Mal gibt es keinen Unterschied zwischen den Religiösen und der PLO, zwischen George Habasch (dem Chef der radikalen PFLP) und Abu Ammar (PLO–Chef Yasser Arafat). Alle Palästinenser stehen gemeinsam den Israelis gegenüber.“ Diese Einheit der Bevölkerung des Gaza–Streifens ist eine der augenfälligsten Veränderungen, die von ausländischen Beobachtern und Palästinensern aus anderen Gebieten seit Beginn der Revolte gleichermaßen konstatiert werden. Es geht dabei nicht nur um die Überwindung der politischen Spaltung, sondern auch um die Aufhebung der Kluft zwischen Alt und Jung, zwischen denjenigen, die in Israel arbeiten, und denen, die dies nicht tun. Bei den Auseinandersetzungen in Gaza–Stadt konnten Journalisten in der letzten Woche beobachten, wie alte Frauen Steine in handgerechte Stücke für die jugendlichen Demonstranten schlugen, die damit israelische Soldaten bewarfen. Und viele der Opfer zählen zu jenen, die in Tel Aviv als Kellner oder Gärtner arbeiteten, als die Zusammenstöße begannen. In politischer Hinsicht ist die neugefundene Einheit deshalb überraschend, weil sowohl Nationalisten wie auch Fundamentalisten radikalere Positionen einnehmen als in der gleichfalls besetzten Westbank. In Gaza hat man selten Gelegenheit, etwas über die Koexistenz zwischen Israel und einem zukünftigen palästinensischen Staat zu hören. Statt dessen heißt es, Israel sei Palästina, und die Israelis die Usurpatoren. Dabei hatte Israel in der Vergangenheit auf die Karte der inneren Spaltung unter den Palästinensern gesetzt. Kurz nach der Eroberung des Gaza–Streifens im Jahre 1967 begannen die Besatzungsbehörden, die moslemischen Fundamentalisten vorsichtig zu ermuti gen, wie es übereinstimmend in israelischen wie palästinensischen Kreisen heißt. Israelische Politiker sahen im Fundamentalismus ein nützliches Gegengewicht zu den militanten Nationalisten der PLO. Die Strategen erhofften sich von diesem Vorgehen, daß ihnen zerstrittene Palästinenser weniger Probleme bereiten würden - getreu dem alten Prinzip „teile und herrsche“. Als einer der Höhepunkte im Sinne dieser Strategie wurde vor einigen Jahren das Büro des Palästinensischen Roten Halbmonds in Gaza niedergebrannt, dessen Chef, Dr. Haidar Abdul Shafi, ein Kommunist ist. Nach palästinensischen Angaben unternahmen israelische Sicherheitskräfte, die sich in der Nähe aufhielten, nichts, um diesen Anschlag zu verhindern. In der letzten Woche jedoch war es eben jener Shafi, der als Sprecher der Verwundeten, gleich welcher Couleur, im Shifa– Krankenhaus von Gaza auftrat. „Es gibt keinen Unterschied zwischen Palästinensern aus der Westbank, dem Gaza–Streifen, aus Israel - sie sind alle gläubige Moslems“, meint Sheikh Mohammed Awwad, der Leiter des religiösen El Azhar–Colleges von Gaza. „Sie kennen ihre religiöse und ihre nationale Pflicht. Ihre religiöse Pflicht ist es, Gott zu huldigen, und ihre nationale, sich für Freiheit einzusetzen. Das muß nicht extra definiert werden.“ Zu den Flugblättern, die im Gaza–Sreifen kursieren, gehört auch eins mit der klassisch–kommunistischen Überschrift: „Arbeiter Palästinas, vereinigt euch“. Es ist unterzeichnet mit „Jihad Islami“, „Islamischer Heiliger Krieg“ also, eine palästinensische Gruppierung in den besetzten Gebieten, nicht zu verwechseln mit der libanesischen Organisation gleichen Namens. „Die wahre Religion basiert auf Ablehnung und Revolu tion“, heißt es in dem Text, der die rund 60.000 Palästinenser aus dem Gaza–Streifen, die täglich nach Israel zur Arbeit fahren, zum Streik aufruft - wenigstens für eine Woche. Jeder, der in Israel arbeite, ermögliche es einem Israeli, als Soldat nach Gaza zu kommen und dort Patronen „in Brust und Herz unserer Mütter, Kinder, Alten und unserer Brüder“ zu schießen, heißt es in dem Flugblatt. Die Mehrheit der Bevölkerung ist offenbar seit Beginn der Auseinandersetzungen in der Tat zu Hause geblieben. Doch der Gaza– Streifen ist selbst für minimale Lebensanforderungen derart abhängig von der israelischen Wirtschaft, daß manch einer die Frage stellt, wie lange ein Streik noch durchzuhalten ist. „Weißt du, warum wir in Israel arbeiten“, fragte einer der Besucher der Trauerfreier für Fteihah. „Weil wir sonst nichts zu essen haben. Wir können nicht aufhören, in Israel zu arbeiten. Wir arbeiten nicht, um Häuser zu bauen, wir arbeiten, um zu essen.“ Doch selbst wenn die Auseinandersetzungen nachlassen und die Palästinenser wieder nach Israel zur Arbeit gehen, erwecken die Gespräche doch den Eindruck, daß es sich nur um eine vorübergehende Flaute des Widerstands handeln würde. „Die Israelis nennen uns Terroristen. Dabei setzen sie wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Terror gegen unser Volk ein“, erklärte ein aufgebrachter Cousin des getöteten Fteihah. Dessen 16jähriger Bruder Suleiman entgegnete auf die Frage, ob auch er gegen die Israelis demonstrieren würde: „Ja, um die Gefühle der Palästinenser zu zeigen.“ Dalal, die Witwe des Verstorbenen, im zweiten Monat schwanger, meinte, sie hoffe, ihr zweijähriger Sohn werde aufwachsen und wie sein Vater werden. Doch sie fügt hinzu: „Ich habe genug vom Kampf und Töten. Ich will in Frieden leben.“ Die Mutter des Toten hingegen, die 47jährige Zahiya, die im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie als Flüchtling in Gaza eintraf, macht kein Hehl aus ihrer Verbitterung. „Selbst wenn ich als Frau getötet werde, würde ich gerne demonstrieren gehen. Solange ich lebe, werde ich den Jüngeren beibringen, daß sie kämpfen müssen, bis es für uns eine Lösung gibt.“ Dan Fischer