Palästinenser im Generalstreik

■ Aufruf gegen Israels Besatzung zu achzig Prozent befolgt / Erneut ein Toter bei Demonstrationen

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Palästinenser in Israel und den besetzten Gebieten haben am Montag mit einem Generalstreik und weiteren Demonstrationen die Serie von Protesten gegen die israelische Besatzungspolitik fortgesetzt. Dabei starben mindestens drei Personen. Fast alle Betriebe, Schulen und Behörden in arabischen Ortschaften Israels, der Westbank und im Gaza–Streifen blieben geschlossen. In Erinnerung an die getöteten und verletzten Palästinenser der letzten zwei Wochen wurde mittags eine Schweigeminute abgehalten. Zu dem eintägigen Streik hatten die Vorsitzenden der arabischen Gemeinderäte und die arabischen Organisationen Israels aufgerufen. Auch alle fünf arabischen Abgeordnteten des israelischen Parlaments, Vertreter verschiedener politischer Parteien, waren an der Entscheiung beteiligt. Die Initiatoren wollen mit ihrer „Tag des Friedens“ benannten Aktion „die Solidarität mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten ausdrücken und gegen die Gewalt der israelischen Sicherheitskräffte protestieren“, so Ibrahim Nimr Hussein, der Vorsitzende des Nationalen Rats der arabischen Gemeinderäte. Nach Angaben der israelischen Behörden gingen nur etwa zwanzig Prozent der Palästinenser am Montag zur Arbeit. Bereits im Vorfeld hatte es Einschüchterungsversuche gegeben: In Nazareth wurden Palästinenser wegen „Anstachelung zum Schulstreik und zu illegalen Demonstrationen“ festgenommen. Lehrern, arabischen Verwaltungsangestellten und Arbeitern wurde die Entlassung angedroht, sollten sie streiken. General Mizna, Befehlshaber der israelischen Truppen in den besetzten Gebieten, ließ „vorbeugend“ alle 800 Schulen für zwei Tage in der Westbank und dem Gaza–Streifen für acht Tage schließen. Die Technische Hochschule von Hebron (Westbank) wurde gleich für einen Monat dichtgemacht, nachdem die Studenten am Wochenende demonstriert hatten. Die israelischen Militäreinheiten in den besetzten Gebieten wurden weiter verstärkt. Fortsetzung auf Seite 6 Die Polizei zog ihre Kräfte in den israelischen Städten und Ortschaften zusammen, in denen der Großteil der rund 700.000 Palästinenser Israels lebt, zusammen. Die Proteste, die am Montag erstmals auch auf Israel übergriffen, konzentrierten sich auf Nazareth und andere arabische Orte im Norden. In Nazareth kam es zu Zusammenstößen zwischen palästinensischen Jugendlichen, die Steine auf eine Polizeistation und Autos warfen, und Sicherheitskräften, die Tränengas gegen die Demonstranten einsetzten. Auch in anderen Städten, wie Jaffa bei Tel Aviv, Ostjerusalem und Jenin auf der Westbank kam es zu Auseinandersetzungen. In Jenin eröffneten israelische Grenzpolizisten das Feuer, nachdem Demonstranten einige Brandsätze auf die Sicherheitskräfte geschleudert hatten. Ein Palästinenser wurde tödlich getroffen, fünf weitere verletzt. Erstmals beteiligten sich auch die Drusen auf den Golanhöhen und die Beduinen in der Negev–Wüste an den Protestaktionen. Am Abend vor dem Streik hatten Mitglieder verschiedener politischer Strömungen in der arabisch–israelischen Stadt Um al Fahm gegen die Besatzungspolitik demonstriert. Zu den Teilnehmern zählten unter anderem Mitglieder der „Progressiven Friedensliste“, der Kommunistischen Partei und der „Söhne des Bodens“. In Israels Regierungskreisen wird das Übergreifen der Protestaktionen auf die Araber Israels, die gemeinsam mit den Palästinensern aus den besetzten Gebieten ein Ende der Besatzung und die Einberufung einer internationalen Nahost–Friedenskonferenz fordern, als schwerer Schlag angesehen. Miglieder des nationalistischen Likud–Blocks haben die Einführung des Militärrechts in den von Arabern dicht besiedelten Gebieten Israels gefordert. Laut Ronnie Milo, stellvertretender Minister für arabische Angelegenheiten, ist der Generalstreik ein „Versuch der israelischen Kommunistischen Partei und der Progressiven Friedensliste, den arabischen Terrorismus in Judäa und Samaria (Westbank, a.w.) auszunutzen und Israelis wie Araber zu extremeren Positionen zu treiben“. Mohammed Miari von der Progressiven Friedensliste wies diese Vorwürfe zurück. „Wir fordern ein Ende der Besatzung sowie die gegenseitige Anerkennung von Israel und den Palästinensern“, erklärte Miari. „Wir fordern weiter eine friedliche Regelung im Rahmen einer internationalen Konferenz: Wenn das Extremismus ist, dann sind wir alle Extremisten“. Miari, der auch Parlamentsabgegordneter ist, wies zugleich darauf hin, daß die Entscheidung für einen Generalstreik von allen arabischen Gruppen und Parteien frei und einhellig gefallen sei. Ungeachtet der jüngsten Ereignisse brauchen die rund 30.000 Touristen, die alljährlich zu Weihnachten nach Bethlehem pilgern, nicht um ihr religiöses Urlaubsvergnügen zu bangen. Die kirchlichen Feiern werden wie üblich stattfinden. Bürgermeister Freij sagte jedoch einen Weihnachtsempfang, an dem auch israelische Politiker teilnehmen, sowie eine Pfadfinder–Parade ab.