Kein neues AKW im Südwesten

■ Baden–Württemberg will in diesem Jahrtausend kein weiteres Atomkraftwerk errichten / Block 2 des AKW Neckarwestheim soll aber doch noch ans Netz gehen / SPD und Grüne kritisierten Energiebericht

Von Dietrich Willier

Stuttgart (taz) - In Baden–Württemberg wird es in diesem Jahrtausend kein neues Atomkraftwerk mehr geben. Auf acht bisher vorsorglich warmgehaltene Standorte soll verzichtet werden. Sollte, gegen alle Erwartung der Landesregierung, der älteste bundesdeutsche Atomreaktor in Obrigheim am Neckar doch vom Netz genommen werden müssen, plant die baden–württembergische Landesregierung dafür keinen Ersatzstandort. Zwar gebe es vorläufig keinen Grund, den Obrigheimer 360–Megawatt–Reaktor abzuschalten, meinte der baden–württembergische Ministerpräsident Lothar Späth gestern bei der Vorstellung des Landesenergieberichts, grundsätzlich sei Atomstrom aus Obrigheim aber ver zichtbar. Auf jeden Fall fertiggestellt und ans Netz gehen soll Block 2 des AKW Neckarwestheim. Kurz nach Tschernobyl, im Juli vergangenen Jahres, war der jetzt vorgelegte baden–württembergische Energiebericht in Auftrag gegeben worden. Geprüft werden sollten unter anderem die Konsequenzen eines sofortigen bzw. mittelfristigen Ausstiegs aus der Atomenergieproduktion und die alternative Nutzung erneuerbarer Energiequellen. Das Wasserkraftpotential Baden–Württembergs, so der Bericht, sei noch nicht voll ausgeschöpft, allein mit Windenergie könnten ca. vier Millionen Kilowatt Strom erzeugt werden. Maximal 2370 Megawatt (also die Größenordnung von zwei Atomreaktoren) könnten durch die Nutzung von Solarenergie ersetzt werden. Das allerdings mit Mehrkosten von 21 bis 45 Milliarden Mark. Bei einem sofortigen Ausstieg, und einem entsprechenden Ersatz durch Kohlekraftwerke, so der Bericht, müsse mit einer 300prozentigen Zunahme der Schadstoffbelastung gerechnet werden. Die baden–württembergische Landesregierung sieht ihre bisherige Energiepolitik in dem Bericht bestätigt. Vorläufig, so Späth, gebe es eben noch keine wirtschaftlich vertretbare Alternative zu Kohle, Wasserkraft und Atomenergie. Darüberhinaus aber wolle man Forschungsanstrengungen im Bereich erneuerbarer Energien verstärken und besser koordinieren. Geprüft werden soll auch, inwieweit Importmöglichkeiten französcher Atomstrom–Überschüsse genutzt werden können. Schon vorab hatte die SPD des Landes die Interpretation des Berichts durch die Landesregierung heftig kritisiert und ihr eine Manipulation der Ergebnisse vorgeworfen. Eindeutig, so die SPD, gehe aus dem Bericht hervor, daß der Verzicht auf Atomenergie aus versorgungstechnischer Sicht machbar sei und die direkte Kostenwirkung zu einer Strompreiserhöhung von drei bis acht Pfennigen pro Kilowattstunde führten. Ausbau und Nutzung alternativer Energiequellen aber, so die SPD, helfe der notleidenden Natur und schaffe zukunftssichere Arbeitsplätze. Die Grünen kritisierten, daß in dem Bericht das Potential an Energieeinsparung gemessen an anderen Untersuchungen erheblich unterschätzt und die Gefahren durch die Atomenergieproduktion verharmlost würden.