Gelli kratzt kungelnd die Kurve: 1988 frei

■ Der ehemalige Leiter der Loge P2 wurde in der Schweiz wegen Beamtenbestechung zu 16 Monaten mit Bewährung verurteilt / Auslieferungsbedingungen schließen Anklage wegen Verwicklung in neofaschistische Attentate aus

Aus Rom Werner Raith

Immer wenn die Italiener gerade so schön dabei sind, den Blick ganz fest in die Zukunft zu richten, klappt wie ein Stehaufmännchen einer hoch, dessen Existenz sie schon weithin verdrängt haben: Licio Gelli, 68, „Maestro Venerabile“ der kriminellen Geheimloge „Propaganda 2“ (P2), von den Staatsanwälten landauf–landab der Beteiligung an neofaschistischen Anschlägen (u.a. auf den Bahnhof Bologna 1980 mit 85 Toten) verdächtigt, dazu Hauptakteur bei den Finanz–Schweinereien der Katholenbank Ambrosiano in Mailand (deren Chef Roberto Calvi nach Entlassung aus der U–Haft 1982 in Londen erhängt aufgefunden wurde) und des damit verbundenen „Istituto per le opere di religione“ (IOR), der Bank des Vatikan. Nach der Verurteilung zu 16 Monaten wegen Wärter–Bestechung in der Schweiz steht seiner Auslieferung nach Italien nichts mehr im Wege; „das große Zittern“ (LEspresso) vor möglichen Enthüllungen des Maestro kann beginnen. 1981 hatte es den ersten Gelli– Knaller gegeben. Italiens Polizisten und Geheimdienstler brüsteten sich gerade der Erfolge gegen die der Roten Brigaden, da beschlagnahmten Staatsanwälte im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen den Mafia–Bankier Michele Sindona (der später im Gefängnis an vergiftetem Kaffee starb) im Hause des Logenmeisters Gelli in Arezzo eine Liste mit knapp tausend Namen: Mitglieder der P2, wie sich herausstellte, und recht illustre dazu, Politiker und Parteichefs (etwa der sozialdemokratische), zwei Minister und drei Staatssekretäre, hohe Verwaltungsbeamte, Bankiers, Journalisten, Generäle und die Generalstabschefs aller drei Waffengattungen - vor allem aber die Spitzen sämtlicher Geheimdienste seit den siebziger Jahren und viele hohe Polizeiführer. Dokumente bewiesen dabei nicht nur die rechtsputschistischen Absichten des Gelli–Clubs, sondern belegen dazu, daß die Geheimdienstler und ihre Logen–Brüder kräftig auch bei der Förderung linker Attentäter und deren Deckung mitgewirkt hatten. Gelli entkam den Fahndern, und langsam wuchs etwas Gras über die Sache - da erwischten, wohl eher versehentlich, Schweizer Polizisten 1982 den Großmeister in Genf. Wieder begann das Bangen derer, die im Schutz der Gellischen Abwesenheit alles als „Erfindung“ hingestellt hatten. Doch ruhig Blut: pünktlich zwei Tage bevor dem Auslieferungsantrag stattgegeben wurde, war er dann weg, der „Verehrungswürdige Meister“ - ganz ruhig zu Fuß dem Gefängnis von Champ Dollon entwichen, nach Bestechung eines Beamten, dann standesgemäß per Hubschrauber nach Monaco zu Freund Rainer und ab nach Südamerika. So hätte es nach Ansicht vieler auch bleiben können. Die zum P2– Skandal eingesetzte Parlamentskommission wurstelte brav, aber folgenlos weiter, die Staatsanwälte luden alles, was sie sonst im Zusammenhang mit Bombenanschlägen nicht klären konnten, dem nicht greifbaren Meister auf, die Nachlaßverwalter der mit einer Milliarde Dollar pleitegegangenen Ambrosiano–Bank legten mehrere tausend Seiten Anklageschrift vor; der Maestro aber blieb verschwunden. Doch dann, der Prozeß um den Anschlag von Bologna begann gerade, meldete sich der Quälgeist wieder - zurückkommen wolle er, wenn man ihn vor der Haft verschone, da er sich krank fühle, ließ er über Anwälte wissen; doch da war Italiens Machtkartell, der „Palazzo“, vor: Gerade jetzt, wo man Neuwahlen ausschrieb, konnte man keine aufgewärmte P2–Suppe brauchen, das hätte reihenweise Kandidaten gekippt, die mit den Logenbrüdern gekungelt hatten. Also deckte man den Meister mit einem Hagel von neuen Haftbefehlen ein, die ihm das Zurückkommen schon verleiden würden. Doch Gelli, vielleicht auch die auswärtige Bedeutungslosigkeit leid, gab nicht nach - und ließ sich vor einem halben Jahr feierlich in Genf festnehmen; da hatte er offenbar schon längst seinen Pakt mit den Schweizern im Sack: Zwar wird er nach dem Urteil wegen der Wärter–Bestechung und des falschen Passes ausgeliefert - doch vor Gericht gestellt werden darf er laut Auslieferungsbeschluß nur wegen des Bankrotts der Ambrosiano–Bank (für Geldvergehen haben die Eidgenossen natürlich kein Erbarmen), nicht wegen der tödlichen Attentate und der Putschpläne (die Schweiz kennt weder den Tatbestand der terroristischen noch den der subversiven Vereinigung). Ein paar Jahre allenfalls wird er also bekommen, wahrscheinlich wird er kaum eines davon absitzen müssen. So erwarten ihn die Italiener denn zum neuen Jahr in heimischen Gefilden. Allerdings kommt er auch diesmal wieder ungelegen - gerade hat Sozialistenchef Craxi einen Konsultationszyklus mit den Vorsitzenden aller anderen Parteien abgeschlossen mit der Absicht, Craxis Lieblingsidee näherzukommen: der Einführung einer „starken“ Präsidialrepublik nach dem Muster des französischen Generals De Gaulle. Ein Plan, der fast bis ins Detail auch schon in den Dokumenten des Logenmeisters Licio Gelli (“Plan zur demokratischen Wiedererneuerung“) gestanden hatte - mit dem erklärten Ziel, vor allem die Kommunisten und die Linkskatholiken der Christdemokraten „endgültig auszuschalten“.