Unfallflughafen ohne Radarsystem

Der Landeanflug auf den türkischen Flughafen Izmir, bei dem die bundesdeutsche Condor-Boeing mit 16 Menschen abstürzte, war ein Himmelfahrtskommando  ■ Aus Izmir Ömer Erzeren

Im vergangenen November wollte Ministerpräsident Turgut Özal den Flughafen unbedingt einweihen, obwohl es noch nicht einmal ein Radarsystem gibt und Piloten und Fluglotsen vor dem unzulänglichen Sicherheitssystem warnten. Der Grund: Er stand mitten im Wahlkampf, und mit diesem Flughafen sollte die Türkei „ein Jahrhundert überspringen“ (Özal). Was viele Kritiker vorhersagten (siehe Dokumentation), ist Samstag abend eingetroffen: Die Boeing der Condor versuchte trotz Regen zu landen, mußte – wie die Tageszetung Cumhuriyet erfuhr, wegen einer startenden Maschine ausweichen und prallte gegen einen Berg. Die türkischen Behörden dagegen wollen von mangelnder Sicherheit nichts wissen und schieben die Schuld auf den Piloten.

Samstag abend gegen 20 Uhr ereignete sich das Unglück: Die Boeing 737 der Chartergesellschaft Condor, eine Tochter der Lufthansa, zerschellte beim Anflug auf den neuen Flughafen von Izmir. Die elf türkischen Passagiere sowie die fünfköpfige deutsche Crew sind tot. Die Bauern des nahegelegenen Dorfes Beyler fanden nur noch verkohlte Leichen. Die Absturzstelle liegt 30 Kilometer vom Flughafen entfernt in einem unzugänglichen Berggebiet, so daß sich die Suche nach den Opfern schwierig gestaltet. Bis Sonntag nachmittag hatten die Ret tungsmannschaften erst zehn Leichen geborgen. Die Maschine war von dem türkischen Reiseveranstalter „Avrupa Hava Yollari“ gechartert worden, um 125 Arbeitsmigranten aus Izmir zurück nach Stuttgart zu bringen. Neben dem türkischen Verkehrsminister Ekrem Pakdemirli trafen am Sonntag morgen auch Experten des Luftfahrtbundesamtes und der Fluggesellschaft Condor in Izmir ein.

Kein Radar

Seitdem er am 17. November des vergangenen Jahres eröffnet wurde, gilt der Flughafen von Iz mir als Alptraum der Piloten. „Bei Südwind und einer Sichtweite unter 4.800 Metern ist es kriminell, auf diesem Flughafen zu landen“ – mit diesen Worten meldete sich noch wenige Tage vor der Katastrophe ein Pilot der Turkish Airlines zu Wort. Südwind und Regen – das war auch Samstag abend die Wetterlage in der Region von Izmir.

Angesichts der gebirgigen Topographie und des schlechtfunktionierenden Landeleitsystems ILS sei es, so kommentierte jetzt ein anderer türkischer Pilot, fast schon ein Wunder, daß erst jetzt eine Maschine abgestürzt sei. Wochenlang hatten Piloten und Fluglotsen davor gewarnt, den Flughafen ohne vollständig funktionierendes elektronisches Leitsystem in Betrieb zu nehmen. Weicht eine Maschine nämlich vom berechneten Kurs ab, dann benötigt sie die Hilfe der Lotsen über das Radarsystem. Doch ein solches gibt es, wie die taz aus zuverlässiger Quelle erfuhr, in Izmir noch nicht.

Mittlerweile beschweren sich Piloten und Lotsen auch über die mangelnde Kooperation ihrer Kollegen von der Luftwaffe: Deren Flughafen liegt gleich nebenan, und sie verweigern den zivilen Piloten das Benutzen ihrer Flugschneisen.

Daß der Flughafen allen Sicherheitsbedenken zum Trotz im November in aller Eile eröffnet wurde, hing mit den bevorstehenden Wahlen in der Türkei zusammen. Zwölf Tage vor der Entscheidung über die Zusammensetzung des künftigen Parlaments wollte Ministerpräsident Turgut Özal unbedingt sein Wahlpräsent an die Bürger von Izmir übergeben – zum Wohle seiner Mutterlandspartei (die dann auch siegte). „In so kurzer Zeit ist noch kein Flug hafen auf der Welt errichtet worden“, bejubelte die rechtsgerichtete regierungsnahe Tageszeitung Tercüman das neue Bauwerk. Ministerpräsident Özal teilte den Festgästen gar mit: „Wir überspringen ein Jahrhundert“, als er den noch nicht fertiggebauten, dafür aber umso festlicher geschmückten Flughafen persönlich eröffnete. Ganz in schwarz gekleidet, jubelten ihm die Schülerinnen des Izmirer Mädchengymnasiums zu. An den Außenwänden des Gebäudes prangten überdimensionale, auf Stoff gemalte Porträts nicht nur von ihm, sondern auch von Staatspräsident Kenan Evren und dem konservativen Ex-Premier Adnan Menderes, dessen Name der Flughafen tragen sollte. Per Satellit wurde Özals Wahlkampfshow in die Fernsehstuben von Ankara übertragen, wo die Regierungsanhänger ihrerseits das „gewaltige Menschenwerk“ feierten, das einmal eine Kapazität von 4,5 Millionen Passagieren pro Jahr erreichen soll.

Ausweichmanöver

In ersten Erklärungen der Regierung zur Absturzursache wurde noch über eine mögliche Sabotage an Bord spekuliert. Möglicherweise sei die Boeing 737 in der Luft explodiert. Gestern berichtete dann aber die angesehene Tageszeitung Cumhuriyet unter Berufung auf eigene Informanten, die Condor-Maschine, der bereits eine Landegenehmigung erteilt worden sei, habe wegen einer gleichzeitig startenden Maschine ein Ausweichmanöver (in der Fliegersprache „pass“ genannt) vollziehen müssen und sei dabei an dem Dümen-Berg zerschellt. Der diensthabende Sicherheitsoffizier im Flughafentower, der am Telefon zunächst keine Auskünfte geben wollte ( „bin nicht befugt“), gab schließlich doch noch eine andere Version zum besten: „Wir haben keine Landegenehmigung erteilt.“ Vorgestellt hatte er sich als diensthabender Offizier im Tower, doch als ich noch seinen Namen in Erfahrung bringen will, legt er den Hörer auf – genauso wie die türkischen Bediensteten der Lufthansa, die eine totale Informationssperre verordnet bekamen.

Verkehrsminister Pakdemirli erklärte dagegen – so meldete gestern nachmittag dpa – nach der Besichtigung der Absturzstelle, die Verantwortung für das Unglück liege aller Wahrscheinlichkeit nach beim Piloten der Maschine, der sich offenbar im Irrtum über seine Flughöhe befand. Dies legten seine auf Band aufgezeichneten Gespräche mit dem Tower des Flughafens nahe, sagte der Minister der halboffiziellen Anatolischen Nachrichtenagentur.

Der Pilot habe offenbar auch den Hügel, auf den er nach einem plötzlichen Kurswechsel in Richtung Athen zuflog, nicht als solchen erkannt und dem Tower nur mitgeteilt, er sehe „etwas unter sich“. Dann sei die Maschine wahrscheilich dagegen gerast und zerschellt.

Der Minister schloß gleichzeitig aber auch nicht aus, daß ein Blitzschlag alle Instrumente im Cockpit der Unglücksmaschine für eine halbe Minute außer Kraft gesetzt und den Piloten zum Kurswechsel in Richtung Athen veranlaßt haben könnte. Die Einrichtungen des neuen Flughafens von Izmir seien zuverlässig, versicherte der Minister.

Die Kurzstreckenflugzeuge vom Typ Boeing 737 gibt es seit 1967. Sie sind derzeit in ihrer Klasse mit mehreren tausend Exemplaren die meistverkauften auf dem Weltmarkt und werden ständig modernisiert. Der Typ 737-200 ist eine gestreckte Version, die bis zu 130 Passagiere aufnehmen kann und von zwei Triebwerken des JT8D-17 der US- Firma Pratt and Whitney angetrieben wird.

„Mit diesem Flughafen wird der Name des gehenkten Helden verewigt werden“, so eröffnete Özal im November seine Einweihungsrede. Der „gehenkte Held“, dessen Namen der Flughafen tragen sollte – das war der von den Militärs nach dem Putsch von 1960 hingerichtete konservative Ex-Premierminister Adnan Menderes. Die von den Politikern zu verantwortenden Toten der Condor-Maschine werden künftig wohl in einem Atemzug mit dem Namen Menderes genannt werden.