: Deportation: Strafe gegen Palästinenser
Im ersten Jahrzehnt der Besatzung wurden 1180 Personen von den israelischen Behörden deportiert / Betroffene können mit wenig Aussicht auf Erfolg Widerspruch einlegen / Die israelische Regierung windet sich bei Benennung von Deportationen ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Die Deportation gilt als die schwerste Strafe der israelischen Behörden gegen Palästinensen aus den besetzten Gebieten. Die am Sonntag beschlossenen Deportationsverfügungen gegen neun politisch aktive Palästinenser, denen Kontakte zu Guerillaorganisationen angelastet werden, sollen als Abschreckung dienen, um die nächste Welle von Protestaktionen möglichst lange hinauszuzögern.
Erste Ankündigungen, Hunderten von Palästinensern drohe nach den Revolten vom Dezember die Deportation, hatten weltweite Kritik, auch seitens der USA, ausgelöst. Die Regierung in Washington teilt die israelische Auffassung nicht, wonach die Deportationen im Rahmen des internationalen Rechts legal seien, auch wenn sie auf die Notstandsverordnung aus der britischen Mandatszeit vom September 1945 zurückgehen. Auf sie wird zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und zur Unterdrückung von Aufständen häufig zurückgegriffen. Nach offizieller israelischer Sichtweise gibt es zumindest in bezug auf die Westbank keine Deportationen, da die Palästinenser dort nach wie vor über die jordanische Staatsbürgerschaft verfügten.
Dieser Auffassung zufolge handelt es sich eher um Ortsveränderungen. Anders jedoch im Falle des Gaza-Streifens, dessen Einwohner seit 1948 über keinerlei Staatsbürgerschaft mehr verfügen. Palästinenser, gegen die eine Deportationsverfügung vorliegt, haben die Möglichkeit, zunächst vor einer besonderen, von einem Militärrichter geleiteten Komission, anschließend vor dem Obersten Gerichtshof Widerspruch einzulegen. Das Militär lehnt die Einsprüche in der Regel ab, und auch die Verfahren vor dem Obersten Gericht haben sich im Laufe der Jahre als aussichtslos erwiesen. Daher werfen viele der Betroffenen meist schon vor dem Ende der juristischen Prozedur die Flinte ins Korn, weil sie das „Demokratie-Spiel“ nicht noch legitimieren wollen. Bislang sind Palästinenser, die von Deportationsbeschlüssen betroffen wurden, nach Jordanien verfrachtet worden. Doch falls die Regierung in Amman jetzt als ein Zeichen des Protests den Vertrieben die Einreise verweigern sollte, können sie auch ohne die Mitwirkung der Behörden des Nachbarlandes über die „grüne Grenze“ in der Negev- Wüste gebracht werden. Schlimmstenfalls gibt es auch noch die Möglichkeit der Deportation durch die israelische „Sicherheitszone“ in den Südlibanon.
Seit der Eroberung der Westbank und des Gaza-Streifens 1967 hat es in Israel mehrere Deportationsphasen gegeben. Nach einem Bericht der „Financial Times“ wurden im ersten Jahrzehnt der Besatzung offiziellen Angaben zufolge insgesamt 1180 Palästinenser deportiert. Nach Auffassung eines israelischen Militärsprechers handelte es sich jedoch nur bei 68 Fällen um echte Deportationen, die übrigen seien ausgewiesene Infiltranten. 187 Personen, die sich wegen Sicherheitsvergehen in Haft befänden, seien „auf eigenen Wunsch“ abgeschoben worden.
Die Mehrzahl der Deportationen wurde von Regierungen der Arbeiterpartei angeordnet. Eine Ausnahme bildet die Vertreibung der Bürgermeister von Hebron und Halhul sowie einem Richter aus Hebron, die in die Zeit einer Likud-Regierung fielen. In diesem Fall hatte das Oberste Gericht eine Empfehlung ausgesprochen, die Entscheidung zurückzunehmen, doch es blieb bei der Deportation. Zu einer Rückkehr zu solchen Methoden der „eisernen Faust“ kam es erst im August 1985, als Verteidigungsminister Jitzhak Rabin (Arbeiterpartei) im Rahmen der „Regierung der Nationalen Einheit“ die Verantwortung für die besetzten Gebiete übernahm. Die israelischen Sicherheisbehörden geben an, daß seither neunzehn Palästinenser deportiert wurden. Zu diesem Personenkreis zählen vor allem Gewerkschaftsführer, Journalisten, politisch engagierte Studenten und andere „subversive Elemente“. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation „Al Haq“ spricht von 44 Deportationen seit August 1985. Die Differenz erklärt sich daraus, daß die israelischen Behörden die Vertreibung von ehemaligen Gefangenen, die im Rahmen eines Austauschs im Jahre 1985 freikamen, nicht als Deportation rechnet.
Mit der neuerlichen Deportationsanordnung gegen „nur“ neun Palästinenser soll die Bevölkerung der besetzten Gebiete davor gewarnt werden, daß im Falle neuerlicher Protestaktionen mit ähnlichen Schritten größeren Ausmaßes zu rechnen sei, wie sie von namhaften Politikern im rechten Lager immer öfter und lauter gefodert werden. Doch angesichts der Hochspannung in der Westbank und dem Gaza-Streifen kann auch schon ein „symbolischer“ Deportationsbefehl die gewünschte abschreckende Wirkung haben.
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