INTERVIEW
: Autoritäre oder demokratische Lösung der Krise?

■ Tomasz Mastnak vom Institut für Marxismus-Leninismus in Ljubiljana ist einer der Theoretiker der demokratischen Bewegung Jugoslawiens / Seine These: Der Ruin des Staates läßt eine öffentliche Meinung wiederentstehen

taz: Wolfgang Leonhard hat einmal die Hoffnungen und vielleicht auch Illusionen über den jugoslawischen Weg auf den Punkt gebracht: Tito und den Selbstverwaltungssozialismus nannte er das Symbol für einen Dritten Weg des Sozialismus zwischen Stalinismus und Sozialdemokratie. Heute scheinen die Ideale von damals verraten zu sein.

Tomasz Mastnak: Sicher, Jugoslawien war einmal ein Symbol. Vor allem in den sechziger Jahren mit dem Aufstieg der Neuen Linken hatte das Selbstverwaltungsmodell eine bestimmte Austrahlungskraft und war im Ausland populär. Dieses Interesse ist in den siebziger Jahren wieder geschwunden. Für mich sind angesichts der Krise des jugoslawischen Modells heute jedoch nicht irgendwelche Ideale von 1948/49 verraten worden, ich sehe heute gerade die Realisierung dieser Ideen.

Wie bitte, die Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben, in den Regionen, die Dezentralisierung hat es nie gegeben?

Ja, ich akzeptiere nicht die herkömmliche Erklärung, daß die damaligen Ideale verraten wurden. Meine Erklärung ist, die ursprünglich angepeilte Zerstörung des bürgerlichen Staates z.B. ist heute im Ruin des Staates und im Chaos der Gesellschaft vollzogen.

Eine andere Grundidee war damals, eine harmonische Gesellschaft aufzubauen. Die Konsequenz dieser Vorstellung ist, daß Konflikte nicht offen gelöst werden können. Das kann man jetzt wieder an den Streiks beobachten. Obwohl die Masse der Arbeiter und auch manche Betriebsleitungen die Legalisierung der Streiks wünschen, wird dies nach wie vor verweigert. Die Idee der harmonischen Gesellschaft also, dieser Grundpfeiler des Selbstverwaltungssozialismus, ist somit gesellschaftliche Realität, obwohl die Gesellschaft nie aufgehört hat, Konflikte zu erzeugen.

Du behauptest damit schlicht und einfach, daß die Theorie des Selbstverwaltungssozialismus genauso repressiv entwickelt wurde wie der Leninismus und Stalinismus in anderen Ländern.

Das System ist sogar noch repressiver als anderswo, weil die Repression nicht zentralisiert, sondern internalisiert ist. Die Dezentralisierung von Macht bedeutet nämlich noch keineswegs eine Demokratisierung. Sie bedeutet nur, daß die Repression näher am täglichen Leben ist. Die gegenseitige Kontrolle ist überall, nicht nur durch den Staat und die Partei vermittelt. Jeder kann Agent dieser Repression sein.

Was wir aber heute auch erleben, ist ein Prozeß der Emanzipation eines wichtigen Teils der Gesellschaft gegenüber dieser gesellschaftlichen und psychologischen Situation. Wir erleben, wie sich die Fähigkeit, gesellschaftliche Bedürfnisse selbst zu formulieren, erneuert – das Wiedererstehen einer öffentlichen Meinung. Vor allem hier in Slowenien hat sich in den letzten Jahren über die neuen sozialen Bewegungen und politischen Initiativen eine Atmosphäre entwickelt, die sehr viel demokratischer ist als anderswo im Land.

Es gibt also unterschiedliche Reaktionen auf die Krise der Gesellschaft?

Genau genommen gibt es gar nicht die Krise der Gesellschaft, sondern die Krise des politischen Systems und des Staates. Zu deren Lösung gibt es letztlich nur zwei Alternativen, eine demokratische und eine autoritäre.

Für die autoritäre Lösung stehen einige Armeeoffiziere, die sich nur vorstellen können, mit mehr Disziplin und Repression, d.h. mit der Abschaffung von existierenden Freiräumen, der Krise beizukommen. Wenn die sich durchsetzten, würde das die Verlängerung der Krise bedeuten und das Land weiter in den Ruin treiben. Ich bin davon überzeugt, daß die einzige Möglichkeit, die Krise zu überwinden, darin besteht, eine breite Demokratisierung durchzusetzen. Das geht aber nicht ohne substantielle Veränderungen des Systems. Und dafür gibt es innerhalb des politischen Systems kaum Stimmen, auch nicht bei denjenigen Eliten, die sich heute noch für eine Reform stark machen. Interview: Erich Rathfelder