Sollen die Militärs Jugoslawien retten?

■ In dem Vielvölkerstaat wird offen diskutiert, ob eine Militärregierung das Land aus der Krise holen könnte

Für das bosnische Parteiblatt Vecernje Novine ist das Gerede um die Gewerkschaftsgründung schlicht eine geschmacklose Provokation des slowenischen Alternativblatts Mladina. Dort hatte es am 20. November 1987 geheißen, das Streikkomitee von 5.400 Stahlarbeitern in der bosnischen Stadt Zenicea habe in einem Appell die offiziellen Gewerkschaften kritisiert und zur Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft aufgerufen. Das Faß der Unzufriedenheit sei übergelaufen, als die offiziellen Arbeitervertreter drastische Lohneinbußen für die über 13.000 Beschäftigten des landwirtschaftlichen Konzerns „Agrokomerc“ hingenommen hätten und damit den Arbeitern in den Rücken gefallen seien. In dem Aufruf forderte das Streikkomitee weiter, so behauptet Mladina, das Privateigentum hoher Parteifunktionäre zu beschlagnahmen und den Erlös an die Arbeiter zu verteilen. Daran sei alles falsch, sagt die Parteizeitung. Die Information, so Vecernje Novine, stamme von dem „geistesgestörten“ Ingenieur und Wichtigtuer Branko Tuco, der sich seit dem 29. Dezember 1987 wegen des „Verbreitens einer Falschmeldung“ für 60 Tage in Haft befinde.

„Wir haben vor Ort recherchiert und fanden unsere Angaben damals bestätigt“, behauptet dagegen der verantwortliche Redakteur des Alternativblattes Gorazd Suhadolnik, der allerdings mittlerweile gegenüber der taz eine Provokation der Geheimpolizei nicht mehr ausschließen möchte. Im Nachhinein sei denkbar, daß ihm seine damaligen Gesprächspartner einen Bären aufgebunden hätten, um das mit Abstand kritischste Wochenblatt des Vielvölkerstaates zu diskreditieren.

Die Winkelzüge der jugoslawischen Innenpolitik gleichen mehr und mehr einem kaum mehr zu entwirrenden Knäuel. Niemanden würde es wundern, wenn weder die eine noch die andere Version wahr wäre. Tatsache bleibt, daß die slowenische Zeitschrift Mladina den Regierenden in Belgrad ein Dorn im Auge ist. Denn die Journalisten dieses Blattes nehmen kein Blatt vor den Mund. Sie fordern genauso eine weitgehende Wirtschaftsreform wie den Ausstieg aus der Atomenergie und die Freilassung politischer Gefangener. (Ein Porträt von Mladina enthält die Auslandsreportage vom 11.12.87, die Red.)

So manchem Funktionär in den Teilrepubliken geht dies entschieden zu weit. Denn Jugoslawiens „Bund der Kommunisten“ ist verunsichert. Er hat keine einheitlichen Konzepte mehr, der Wirtschaftskrise und der Inflation von über 200 Prozent, der Talfahrt des Dinar und der steigenden Arbeitslosigkeit beizukommen. Die Bevölkerung ist verunsichert. Kritische Positionen, öffentlich ausgedrückt, kommen da wohl ungelegen.

Im September letzten Jahres ruinierte der „Agrokomerc“- Skandal auch noch das letzte Vertrauen in die Wirtschaftspolitik. Die Bereicherung führender Politiker kam dabei an den Tag, der volkswirtschaftliche Verlust in Milliardenhöhe riß über 60 Banken in den Abgrund. Der Skandal machte deutlich, daß es offenbar gängige Praxis in Jugoslawien ist, Geschäftsverluste mit ungedeckten Schecks zu vertuschen. Der Skandal war systembedingt, auch die Ersetzung von bosnischen Funktionären durch Serben und Kroaten konnte das Vertrauen nicht mehr herstellen.

Doch es kam noch schlimmer: Der Appell an nationalistische Stimmungen in Serbien hat in den letzten Monaten das wohl ausbalancierte Machtgefüge der einzelnen Teilrepubliken ins Wanken gebracht. Als am 3. September letzten Jahres in der Kaserne von Paracin ein albanischer Rekrut Amok lief und vier seiner Kameraden – darunter ein Serbe – erschoß und andere verwundete, nützte dies die nationalistische Fraktion der serbischen Parteiführung zum publizistischen Großangriff auf den albanischen Bevölkerungsteil in Kosovo (88 Prozent). Die Emotionen wurden mit wilden Behauptungen über angebliche albanische Exzesse gegenüber der serbischen Minderheit in Kosovo hochgeputscht. Als dann noch am 22. Oktober 15.000 serbische Frauen in Kosovo Polje gegen angebliche Vergewaltigungen durch Albaner demonstrierten und einen Militärputsch forderten, war in Serbien der Höhepunkt einer Kampagne erreicht. Er wurde von der nationalistischen Fraktion unter Slobodan Milosevic genutzt, die Moderaten unter Ivan Stambolic Zug für Zug zu entmachten. Der Nationalismus aber nagt an den Grundfesten des jugoslawischen Vielvölkerstaats.

Ein Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht. Verteidigungsminister Branko Mamula beklagte kurz vor Weihnachten in einer Rede vor dem ZK der Partei, 20.000 Mitglieder seien in den letzten Monaten aus der Partei ausgetreten. Ehrliche Genossen, die sich mit der Führung und deren Streitigkeiten nicht mehr identifizierten und die sinnlosen Flügelkämpfe nicht mehr ansehen wollten. Er wies auf die 1.500 Streiks hin, an denen über 250.000 Arbeiter teilgenommen hätten, auf das unentschuldigte Fehlen bei der Arbeit und den hohen Krankenstand der Belegschaften. Wo die Autorität der Partei geblieben sei, wollte er wissen.

Böse Zungen behaupten nun, der Verteidigungsminister wolle nicht mehr auf die Antwort warten und selber handeln. Dafür sprechen auch Dokumente, die bereits im Herbst den politischen Magazinen Nin und Danas zugespielt wurden. Aus ihnen geht hervor, daß der General in die Regierungsgeschäfte von Ministerpräsident Branko Mikolic eingriff und aus den Fonds der Devisenreserven 600 Millionen Dollar für den Verteidigungshaushalt abzweigte, nachdem die Mittel für die Armee drastisch gekürzt worden waren und Unruhe im von Serben dominierten Offizierschor entstanden war. Beide Zeitschriften wollten die Dokumente veröffentlichen, die Zensur jedoch verhinderte dies. Wie Danas die Situation einschätzt, zeigt die Schlagzeile ihrer Neujahrsausgabe: Noch ein Jahr wie dieses, und es gibt uns nicht mehr. Roland Hofwiler/er