„Wir wollen keine Kollegen verschachern“

■ Rheinhausener Stahlkocher „besuchen“ Krupp–Kollegen in Düsseldorf / Dünne Solidarität in anderen Krupp–Werken Heute neue Verhandlungen mit dem Krupp–Vorstand / Am Donnerstag kommen Blüm und Vogel nach Rheinhausen

Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Zwei Zahlen, vier Worte. Mehr war auf dem Flugblatt, das die Rheinhausener Stahlkocher am Dienstag ihren Kollegen in Düsseldorf–Benrath mitgebracht hatten, nicht zu lesen. „16 Arbeitslose Duisburg“. Der knappe Text reichte, um so manchen Beschäftigten im Kruppschen Edelstahlwerk sauer zu machen. Der Betriebsratsvorsitzende Gerhard Urban wies gleich nach der „herzlichen“ Begrüßung darauf hin, daß „wir aus Solidarität mit euch die Produktion stillgelegt haben“ - Zwischenruf: „Wird auch Zeit“ - und für die geleistete Mehrarbei, für die Zusatzschichten „von euch nicht angegriffen werden wollen“. Zudem habe man schon 20 Kruppianer aus Rheinhausen übernommen und halte für weitere 120 die Stellen frei. Eine Ankündigung, die die mit 30 Bussen angereisten Rheinhausener nicht gerade zu Beifallstürmen hinreißt. Im Gegenteil, dieser „Solidaritätsbeweis“ schmeckt ihnen gar nicht, denn, so der zweite Betriebsratsvorsitzende Theo Stegmann, „wir sind nicht bereit, Kollegen zu verschachern, sondern uns geht es um die Erhaltung des Standortes in Rheinhausen“. Um dafür zu werben, fahren die Rheinhausener in dieser Woche zu den verschiedenen Standorten der Krupp–Stahl AG. In Benrath ist die Atmosphäre eher frostig. Horst Reiß, seit 37 Jahren bei Krupp als Magazinwart tätig: „Die gehen an uns vorbei, als wollten wir die auffressen“. Einer habe ihn ange macht: „Du willst doch jetzt wohl nicht verladen“. Das könne ja wohl nicht sein, daß „wir jetzt für die Riesensauerei in Rheinhausen verantwortlich gemacht werden“. Michael Kellner, Elektriker in Rheinhausen, entschuldigt sich für seinen Kollegen und schafft es, den aufgebrachten Horst Reiß zu beruhigen . Der unterschreibt dann sogar den Rheinhausener Aufruf, in dem alle Menschen des Reviers aufgefordert werden, den „Kampf um die Zukunft zu führen“. Wie das gehen könnte? Horst Reiß sagt, wie es nicht geht. „Ich habe die Kampfzeit zwischen roten und braunen Arbeitern noch gut in Erinnerung. Der Arbeiter ist nur durch die Arbeiter zu besiegen“. Man müsse zu denen hinfahren, die in ihren Villen säßen. Der Haß auf „die da oben“, die Wut auf Manager und Politiker, das sind die Gefühle, die überall in den Hallen aufzufangen sind. Horst Reiß steht für viele. Er schimpft auf die „da oben“, auf die Gesellschaft, um im selben Moment „mehr Zucht und Ordnung zu verlangen“. Er fordert, die Reichen in den Villen zu besuchen, aber er mag „keine rote Fahnen“. Abgeschreckt von Kapitalismus und Kommunismus gleichermaßen, kommt es zu Rundumschlägen ohne Ziel und Richtung. Nur die älteren Kollegen haben eine Perspektive. Mit 55 Jahren bei Garantie von etwa 90 Nettolohnes über Sozialplan ausscheiden zu können, das ist für die meisten älteren Kollegen eher eine Erlösung. Den Kampf unterstützen sie nicht aus Sorge um die eigene Existenz, sondern aus Solidarität mit den Jüngeren. In dieser Woche verhandelt der Betriebsrat erneut mit dem Vorstand. Am Freitag fahren alle in das Krupp– Walzwerk nach Bochum, das aus Rheinhausen sein Vormaterial bezieht. Der Krupp–Vorstand versucht die Produktionsausfälle in Rheinhausen - nach Informationen des Rheinhausener Betriebsrates - durch Zukäufe bei Arbed– Saarstahl und französischen Stahlunternehmen auszugleichen. Der Bochumer Betriebsrat wußte davon auf Nachfrage nichts. Die Rheinhausener hoffen, daß die Bochumer die Weiterverarbeitung von Fremdmaterial verweigern. Den Düsseldorfer Kollegen gab ein Duisburger Stahlkocher am Dienstag beim Abschied diesen Rat: „Ihr könntet ja auch mal eine Kreuzung besetzen“.