Nach dem Transnuklear-Skandal stoppte Lübeck vorläufig hochgiftige MOX-Brennelementetransporte durch die Innenstadt / Kiel soll Ausweichhafen werden  ■ Aus Lübeck Torsten Joel

Monatelang haben Anti-Atomgruppen dagegen protestiert, daß die Hansestadt Lübeck zum größten Atommüll-Umschlagplatz Deutschlands ausgebaut worden ist. Jetzt hat sich die Atomindustrie selbst ein Bein gestellt: Nach dem Skandal um die Firma Transnuklear hat Bürgermeister Knüppel (CDU) die Atomverschiffung vom Lübecker Hafen aus vorläufig gestoppt. Doch Beobachter befürchten, daß damit der „Atomhafen Nummer Eins“ nur vorübergehend „trockengelegt“ ist.

Seit 1977 wird Atommüll über Lübecker Häfen nach Schweden verschifft. Nicht selten wurden die mit der strahlenden Fracht beladenen LKWs zwischen anderen Autos auf den in Lübeck-Travemünde abfahrenden Passagierschiffen geparkt. Öffentlicher Protest und die Sorge um ihr Image bewog die Reedereien für Mülltransporte, nur noch Frachtschiffe zu benutzen. Dem Mülltourismus tat dies jedoch bisher keinen Abbruch, die Umschlagzahlen wuchsen stetig.

Eine im Juni 1987 getroffene Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und Schweden stellte alle bisherigen Transporte in den Schatten. Es wurde vereinbart, Lübeck als Umschlagplatz für hochgiftige MOX-Brennelemente zu benutzen. MOX steht für Mischoxid, eine Mischung aus Uranoxid und Plutonium, dem giftigsten Stoff der Erde. Die BRD läßt 23,6 Tonnen MOX-Brennelemente aus den Atomkraftwerken Obrigheim, Kehl, Grundremmingen und aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe für ca. 30 Jahre in dem schwedischen End-und Zwischenlager CLAB zwischenlagern. Im Gegenzug erhält sie 57 Tonnen in La Hague aufgearbeitete Brennelemente. Umgeschla gen wird die Fracht am Nordlandkai, einem Teil des Lübecker Hafens in unmittelbarer Innenstadtnähe.

Per LKW oder Bahn wurde der Atommüll angeliefert und von dem schwedischen Spezialschiff „Sigyn“. Dieses Schiff wurde in schwedisch-französischer Zusammenarbeit eigens für Atomtransporte gebaut. Doch für diesen Zweck war es offenbar völlig ungeeignet. Nachdem die „Sigyn“ mehrfach bei Hafeneinläufen verunglückt war, wurde in Schweden eine Havariekommission eingesetzt. Sie kritisierte Konstruktionen und Maschinenkraft und nannte die Manövrierfähigkeit des Schiffes „träge, schwach und unberechenbar“. Verheerende Folgen hätte z. B. der Einsatz der Sprinkleranlagen, da Urandioxid und Uranhexafluorid mit Wasser hochgiftige Dämpfe bilden. Ein anderer Schwachpunkt ist die lange Notbremsstrecke: statt der üblichen zwei Schiffslängen benötigt die „Sigyn“ fünf, um zum Stillstand zu kommen. Gefahrenquellen gibt es auch schon bei der Anlieferung zum Hafen. Einem Gutachten des staatlichen schwedischen Atomkraftinstitutes zufolge, ist die Strahlenabgabe bei MOX-Brennelementen stärker und die Erwärmung höher als bei bisher transportierten Abfällen . In den Behältern, die per LKW-Konvoi oder per Bahn mitten durch das Lübecker Stadtgebiet transportiert werden, bildet sich Helium, so daß der Innendruck steigt und sich die Explosionsgefahr bei Transportunfällen erhöht.

Was auf die Lübecker zukam und wohl auch bald wieder zukommen wird, und von der Hafen-Gesellschaft und Senat totgeschwiegen wird, brachte die dortige Initiative gegen Atomanlagen (Liga), mit einer spektakulären Aktion ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Beim ersten der insgesamt 14 geplanten Transporte besetzten Mitglieder der Liga eine Klappbrücke und ketteten sich dort solange an, bis die Polizei sie brutal von der Brücke „entfernte“. Dabei wurden vier Personen verletzt und zehn festgenommen. Und von Stund an war die Polizei bemüht, es zu keinem ähnlichen Zwischenfall mehr kommen zu lassen. Mehrere Hundertschaften sicherten die Transporte, Fahrradfahrer, die am Hafengebiet vorbeifuhren, wurden untersucht.

Doch die Öffentlichkeit war informiert. Greenpeace startete beim fünften Transport eine Blockade-Aktion zu Wasser, die „Aktionsgruppe Steinburg“, sonst mit dem Widerstand gegen das AKW Brokdorf beschäftigt, erklomm die Balkengerüste des Lübecker Bahnhofs und entrollte Transparente.

Am dritten Oktober erlebte Lübeck eine der größten Demonstrationen der letzten Jahre. Anlaß: die Atommülltransporte. Anschließend wurde am verkaufsoffenen Samstag die City „dichtgemacht“. „SportlerInnen gegen Atommüll“ spielten auf der Staße Volleyball, ein 55 Meter langer Antiatomwurm mit 40 Leuten schlängelte sich durch Lübecks enge Gassen, eine Radfahrergruppe drehte an den Kreiseln „fleißig“ ihre Runden und kleine Atommüllfässer wurden auf Zebrastreifen zu Pyramiden gestapelt. Begründung für die Behinderungen: „Das ist zwar für die Einkäufer nervig , reicht bei weitem aber nicht an das Chaos heran, welches ein verunglückter Atommülltransport verursachte“.

Für bundesweites Aufsehen sorgte schließlich ein Anti-Atom- Bündnis aus zahlreichen Gruppen mehrerer Bundesländer. Die Gruppen verfolgten Ende November einen Atommülltransport vom AKW Kahl (bei Frankfurt) zwei Tage lang quer durch die Republik bis nach Lübeck und lieferten sich dabei auf der Autobahn ein Katz- und-Maus-Spiel mit der Polizei. Die Lokalpresse konnte dieses Thema nicht mehr totschweigen. Auch der Senat mußte sich mit den Forderungen nach Veröffentlichung des Zeitpunktes der noch ausstehenden Transporte, nach Erstellung eines Gefahrengutachten und eines Katastrophenplanes, auseinandersetzen. Mitglieder der Liga sprechen allerdings von einer Hinhaltetaktik des Senats, denn die Lübecker Bürgerschaft beauftragte den Senat schon vor zwei Monaten mit der Erstellung eines Gefahrengutachtens. Eine weitere Forderung der Liga, darauf hinzuwirken, daß die Transporte bis zur Erstellung des Gutachtens ausgesetzt werden, erfüllte der Senat zwar formal. Entsprechende Briefe an das schleswig-holsteinische Sozialministerium und an die Physikalisch- Technische Bundesanstalt in Braunschweig wurden verschickt. Doch, so ein Mitglied der Liga, „das hätte mnan auch mit mehr Nachdruck machen können. Unsere Bitten um einen vorläufigen Transportstop wurden einfach nur zur Kenntnis genommen“.

Wenn das Gefahrengutachten fertig sein wird, werden die auf 14 Transporte begrenzten MOX- Brennelementelieferungen von und nach Schweden wahrscheinlich so gut wie abgeschlossen sein. Anfang März soll der vorerst letzte Transport verschifft werden. Doch die schwedische Regierung kürzte ihr Atomprogramm; das Zwischen- und Endlager CLAB ist nach alten Bedarfsplänen errichtet worden, so daß genügend freie Lagerkapazitäten für weitere ausländische Atommülladungen vorhanden sind. Die Liga rechnet fest mit weiteren Atommülltransporten, die via Lübeck verschifft werden sollen, auch wenn Bürgermeister Knüppel dem radioaktiven Treiben Anfang Dezember überraschend ein Ende gesetzt hat, weil er die besondere Zuverlässigkeit der Transportfirmen nicht mehr gewährleistet sieht. Denn eine der drei Transportfirmen ist das Hanauer Unternehmen Transnuklear. Als vorläufiger Ausweichhafen für Lübeck ist jetzt Kiel vorgesehen.

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