INTERVIEW
: „Sowjetische Truppen haben unsere Blockfreiheit nie in Frage gestellt“

■ Najibullah, Staatspräsident Afghanistans, vertraut auf seine Armee und die Politik der nationalen Aussöhnung. „Wir sind stark genug, die Macht zu teilen“

taz: Herr Präsident, gibt es acht Jahre nach dem sowjetischen Einmarsch einen verbindlichen Terminplan für den sowjetischen Truppenabzug?

Najibullah: Als Staatspräsident habe ich in der Lojah Jirgah (Verfassunggebende Versammlung), deutlich gesagt, daß die begrenzten sowjetischen Truppenkontigente in weniger als zwölf Monaten unser Land verlassen können.

Wann kann aber dieser Abzug konkret beginnen?

Wenn die finanziellen und militärischen Unterstützungen für die afghanische Konterrevolution beendet sind.

Wie sollen die internationalen Garantien für Afghanistan aussehen? In welcher Zeit werden dann die sowjetischen Truppen abziehen?

Wir haben in den Verhandlungen in Genf zwischen Afghanistan und Pakistan unter der Vermittlung der UNO unsere Standpunkte bezüglich der internationalen Garantien und der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten Afghani stans aus dem Ausland und der Verhinderung der Wiederholung solcher Einmischungen deutlich dargestellt.

Nach westlichen Schätzungen stehen mehr als 100.000 sowjetische Soldaten in Afghanistan. Wäre es für Sie ein erstrebenswertes Ziel, wieder an die afghanische Tradition der blockfreien Politik anzuschließen?

Afghanistan ist eines der Gründungsmitglieder der blockfreien Bewegung, und wir bleiben ein treues Mitglied dieser Bewegung. In unserer neuen Verfassung ist neben den wesentlichen Prinzipien wie Unabhängigkeit, territoriale Integrität und nationale Souveränität das wichtigste Prinzip der Blockfreiheit, das heißt das Verbot der Gründung ausländischer Militärstützpunkte in unserem Land, festgeschrieben worden. Die provisorische Anwesenheit der begrenzten sowjetischen Truppenkontingente hat unsere Politik der Blockfreiheit nicht in Frage gestellt.

Der sowjetische Partei-Chef Gorbatschow ist der Meinung, daß die Revolution in Afghanistan sich selbst verteidigen muß. Kann sich Ihre Regierung ohne sowjetische Unterstützung überhaupt behaupten?

Für die Verteidigung unseres Landes haben wir die notwendige Stärke. Wir vertrauen unserer Armee. Wir genießen die Unterstützung unseres Volkes, da unsere nationale Aussöhnungs-Politik die fundamentalen Interessen unseres Volkes widerspiegelt.

Ist Ihre heutige nationale Aussöhnungspolitik nicht vielmehr der Ausdruck Ihrer Schwäche gegenüber den Mudjaheddin?

Umgekehrt, nur die Mächtigen sind in der Lage, die Macht mit den anderen zu teilen. Alle Städte, die Zentren der Provinzen und die meisten Dörfer ste hen unter unserer Kontrolle. Wir besitzen eine schlagkräftige Armee. Es geht nicht darum, ob wir stark oder schwach sind. Es geht vielmehr darum, daß der Krieg beendet wird, damit die physische Vernichtung aufhört.

Ihre Gegner behaupten aber, mehr als 80 Prozent des Landes zu kontrollieren. Sie lehnen jede Verhandlung mit Ihnen ab. Molawi Junes Khales, der Sprecher der „Sieben-Parteien-Allianz“ in Peshawar, hat neulich, nach einem Treffen mit Präsident Reagan in Washington, erklärt, daß er jede Unterredung mit Ihnen über eine politische Lösung des Afgahnistans-Konfliktes ablehnt.

Wir kennen solche Behauptungen der Konterrevolutionäre seit langer Zeit. Wenn sie 80 Prozent des Landes kontrollieren würden, hätten sie schon längst einen Waffenstillstand vorgeschlagen, um in einer Atmosphäre des gegenseitigen Waffenstillstandes die Wahlen stattfinden zu lassen. Sie wären dann ja in der Lage, sowohl in der Lojah Jirgah die 80prozentige Mehrheit zu bekommen, um ihren Staatspräsidenten zu wählen, als auch in den uns bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung. Sie könnten die Mehrheit erringen und ihre eigene Regierung bilden. Tatsächlich haben jedoch bis heute Hunderte Führer der bewaffneten Gruppen mit der Regierung die Waffenstillstandsprotokolle unterschrieben. Wenn Leute wie Khalis oder Golbuddin Hekmatjar nicht für die Beendigung des Brudermordes sind, sollen sie das mit ihrem Gewissen selbst abmachen.

Ist es nicht ein Widerspruch, wenn Sie sich für sieben Jahre mit umfangreichen Machtbefugnissen als Staatspräsident wählen lassen, auf der anderen Seite aber die Bildung einer Koalitionsregierung anstreben? Man kann erwarten, daß Ihre Gegner nicht mitmachen.

Der Staatspräsident und die Koalitionsregierung haben gleiche Pflichten, das heißt die Sicherung des Friedens, Wohlstand für das Volk und die Schaffung einer Atmosphäre der gutnachbarlichen Beziehungen mit Völkern anderer Länder. Man kann erwarten, daß zur Erfüllung dieser Wünsche und Ziele verschiedene politische Kräfte, auch die Gegner, mit uns zusammenarbeiten.

Würden Sie zurücktreten, wenn eine Koalitionsregierung der nationalen Aussöhnung dies fordern würde?

Ich kann nicht die große Verantwortung, die mir die Lojah Jirgah übertragen hat, ignorieren. Ich akzeptiere den Willen meines Volkes.

Wo wären die Grenzen Ihrer Konzessionsbereitschaft im Falle einer Koalitionsregierung? Welche Ziele Ihrer Revolution würden Sie opfern?

Die nationale Koalitionsregierung wird auf der Basis der Verfassung und im Interesse der Bevölkerung gebildet. So werden die Rechte von deren Mitgliedern bestimmt.

Welche Rolle spielt die islamische Ideologie bei der Motivation Ihrer Regierung?

Im Artikel 2 der Verfassung der Republik Afghanistan ist festgeschrieben worden, daß der Islam die Religion des afghanischen Volkes ist. In der Republik Afghanistan kann kein Gesetz verabschiedet werden, wenn es nicht den islamischen Gesetzen entspricht.

Welche Rolle kann die Bundesrepublik in der Afghanistanfrage spielen?

Die Bundesrepublik kann mit ihrem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gewicht auf der Weltebene eine wichtige Rolle bezüglich des Friedens und der Sicherheit in unserem Lande und einer polititschen Lösung der Afghanistanproblematik spielen. Wir hoffen, daß die verantwortlichen Kräfte in der BRD unsere Stimme des Friedens hören werden. Interview: Mostafa Danesch