Ein linkes Hochamt für Brigitte Heinrich

Vierhundert Trauergäste beim Abschied von der Europa-Parlamentarierin der Grünen / Arafat schickte einen Kranz / Stundenlang wurde ihres Kampfes für die unterdrückten Völker gedacht / Heroische Phrasen statt stiller Trauer  ■ Aus Frankfurt Reinhard Mohr

Die Trauerhalle des Frankfurter Hauptfriedhofs reichte nicht aus, um die etwa vierhundert Trauergäste zu fassen, die sich zum letzten Geleit für Brigitte Heinrich versammelt hatten. Bis weit in die Vorhalle staute sich die Menge der Trauernden. Viele mußten der zweieinhalbstündigen Abschiedszeremonie stehend beiwohnen und konnten den Reden nur teilweise folgen.

Brigitte Heinrich war am 29.Dezember 1987 im Alter von 46 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Die Zusammensetzung der Trauergemeinde spiegelte die – nicht nur politische – Biographie Brigitte Heinrichs wieder: Neben ihrer Mutter und engen Verwandten saß ihr langjähriger Freund Klaus Croissant in der ersten Reihe. Joschka Fischer war da und Leute aus der autonomen Szene, K.D. Wolff, Lothar Baier und Eva Demski ebenso wie ehemalige Mitglieder der iranischen CISNU, palästinensische und türkische Freunde genauso wie Ex-Mitglieder der „Sozialistischen Hochschul-Initiative“, die „Alt-Spontis“ der Frankfurter Universität.

Doch viele, die gekommen waren, um den Tod „ihrer“ Brigitte Heinrich zu betrauern, wurden mit einem – auch schriftlich verteilten – 16 „Punkte“ umfassenden „Programm“ konfrontiert, das die Trauerfeier zum Versuch eines „revolutionären“ Pontifikalamts werden ließ.

Von lateinamerikanischen Gitarrenklängen und der Improvisation eines Spirituals unterbrochen, wechselten sich die Vertreter der PLO, des ANC, der FMLN-FDR aus El Salvador, politische Repräsentanten aus der Türkei, dem Iran, dem Baskenland und aus Lateinamerika in ih ren ausführlichen Ehrerbietungen gegenüber der solidarischen Kämpferin für die unterdrückten Völker dieser Welt ab.

Im Laufe der schier endlosen, zum Teil von Schauspielern verlesenen „Grußbotschaften“ (Programmtext) verließ rund die Hälfte der Trauergäste die Feier, die die Trauer austrieb. So hörten viele nicht mehr die Telegramme von Heinrich Albertz und Helmut Gollwitzer, den Brief von Katharina Focke, SPD-Mitglied und Europaparlamentskollegin von Brigitte Heinrich.

Hinter den martialischen Bekenntnissen – „Brigitte gedenken heißt: wissen und sich entscheiden, daß der Kampf der Befreiung uns fordert bis zum Tod“ (Herman Verbeek, niederländisches MdEP) –, hinter den revolutionären Symbolisierungen verschwand die Person Brigitte Hein rich. Übrig blieb die Ikone einer heiligen Johanna von allen Schlachthöfen dieser Welt, für deren Tod Trauer zu empfinden kein Grund zu bestehen schien, ist sie doch gerade das Symbol für den Kampf, der „weitergeht bis zum Sieg“. Trauer „an sich“ und „für sie“ durfte nicht sein, weil sie nur aufhalten würde im fortwährenden Kampf für die Befreiung der Menschheit.

Kaum eine schlimmere Negation ihres viel zu früh zu Ende gegangenen Lebens wäre denkbar gewesen als dieses linksalternative Hochamt, dessen Peinlichkeit und falsches Pathos jeden Staatsakt für einen verstorbenen Präsidenten in den Schatten stellte. Nur die Anwesenheit der Mutter hat einige Trauergäste davon abgehalten, die Suada der verlogenen Beweihräucherung der toten Brigitte Heinrich durch empörte Zwi schenrufe zu unterbrechen. In der schlimmsten Tradition der Linken wurde eine heroische Phrase an die andere gereiht, um jeden Gedanken daran zu vermeiden, daß ein Mensch gestorben ist. In Wirklichkeit ging es um die Unsterblichkeit der revolutionären Idee: Brigitte Heinrich ist tot, die Revolution lebt. Kein schwäbischer Dorfpfaffe hätte weniger über die Persönlichkeit der Toten sagen können als die Phalanx der Abgesandten des Immerguten aus aller Welt.

Kein einziger Redner, keine Rednerin sprach von Brigitte Heinrich, die lebte, kämpfte, zweifelte, die den SPD-Bundestagsabgeordneten Karsten Voigt nach seiner Zustimmung zum „Kontaktsperregesetz“ 1977 aus ihrer Wohnung warf und später wieder zu einem Glas Wein – und zum Streit – einlud.

Ohne Pfarrer und Orgel wollte man Brigitte Heinrich verabschieden. Doch die vermeintlich fortschrittliche Alternative war in ihrer demonstrativen Gläubigkeit und Erlösungssehnsucht pastoraler, verlogener und un-menschlicher als jede traditionelle Trauerfeier. In den uferlosen Hymnen auf die Tote wurde eine namenlose Kälte spürbar, die so weit vom Prinzip Hoffnung entfernt ist wie der Tod vom Leben. Diese linke Unfähigkeit zum Trauern hat viele für Stunden wütend und todtraurig gemacht.

Als nach über zweieinhalb Stunden der in rotes Tuch gehüllte Sarg mit Brigitte Heinrichs Leichnam inmitten all der Blumen und Kränze hinuntersank, um verbrannt zu werden, wurde die Leerstelle des Schmerzes über ihren Tod spürbar, der in dieser Trauerfeier keinen Ort haben durfte.