INTERVIEW
: „Wir müssen zu den Atombetrieben auf Distanz gehen“

■ Dieter Hussing, früherer CDU-Bundestagsabgeordneter und jetziger Stadtverordneter in Hanau, verlangt von seiner Partei Konsequenzen aus dem Dauerskandal um die Atombetriebe

taz: Sie haben sich über eine Anzeigenserie der Hanauer Nuklearbetriebe aufgeregt...

Dieter Hussing: Im neuen, aufwendigen Wirtschaftsjournal 88 „Hanau – Stadt und Wirtschaft“ erscheint eine Publikation der Nuklearbetriebe. Und trotz der ganzen Vorgänge um diese Betriebe behaupten die ganz vollmundig, „bei Sicherheit gibt es keinen Rabatt“, und: „Es gilt der absolute Vorrang von Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit.“ Das seien keine Politikerwortschöpfungen, heißt es dann, sondern die innerbetrieblichen Leitsätze der Hanauer Betriebe. Also auf gut Deutsch: Die Politiker produzieren Sprechblasen, und wir produzieren Sicherheit und Vertrauen. Als CDU-Stadtverordneter habe ich mich dagegen verwahrt, solche Sprüche zu machen angesichts der Tatbestände bei Transnuklear, Nukem und Alkem.

Was mich weiter aufregt: Daß kein Bürger hier mehr weiß, wie eigentlich die Beteiligungs- und Besitzverhältnisse dieser Firmen sind. Die Degussa ist Eigentümer, die Frankfurter Metallgesellschaft, die Großindustriellen Henkel, die Dresdner Bank, die Münchner Rückversicherung usw., und das ganze noch verschachtelt mit zehntel, achtzigstel, hundertstel Beteiligungen und dann noch international, so daß man drei Dutzend Beteiligte bekommt.

Das ist freie Marktwirtschaft, Herr Hussing.

Das beanstande ich ja nicht, aber man muß doch wissen, wer überhaupt die Adressaten sind.

Was hat Sie denn sonst noch geärgert?

Der dritte Punkt ist für mich, daß hier immer nur die Pressesprecher geständnisfreudig etwas von sich geben und nicht die Geschäftsführer, die selbst hier in Hanau kein Mensch kennt. Die Geschäftsführer wären verpflichtet, die Nase zum Fenster raus zu halten und Verantwortung zu übernehmen. Es ist of fensichtlich Firmenstrategie, die Pressesprecher vorzuschicken. Diese Sprecher und die 2.000 Fäßchen sind inzwischen überall bekannt.

Wie bewerten Sie die Haltung Ihrer Partei zu den Hanauer Vorgängen?

Die CDU hier im Kreis stand immer für eine wohlwollende Akklamation. Aufgrund der aktuellen Vorgänge – und das ist mein Anliegen – müssen wir endlich auf eine kritische Distanz gehen. Mit Wohlwollen allein kommt man nicht mehr weiter.

Die Forderung, diesen Betrieben die Betriebsgenehmigung zu nehmen, steht im Raum.

Die Grünen haben einen entsprechenden Antrag gestellt. Aber das halte ich für überzogen und unsinnig.

Was verstehen Sie denn unter kritischer Distanz?

Wir müssen aufhören, diese Betriebe zu verteidigen. Das war bisher die Position der CDU. Trotz der vielen tausend Arbeitsplätze müssen wir diese Geschichte kritischer betrachten, auch hier am Standort Hanau. Wir müssen mehr Transparenz fordern wegen der Unordnung dieser Betriebe und wegen der Gefahrenpotentiale. Wir müssen aus der Akklamationsecke raus, die wir bisher, parteipolitisch opportun, eingenommen haben. In den Aufsichtsräten müssen auch der Bürgermeister und der Landrat Platz haben.

Stehen Sie mit Ihrer Meinung innerhalb der CDU alleine da?

Meine eigene Partei auf Stadt- und Kreisebene hat sich schon kritisch mir und meinen Vorstellungen gegenüber geäußert. Im Lande und im Bund gibt es, glaube ich, auch ganz andere Reaktionen. Da gibt es auch Konsequenzen. Vor Ort ist die Situation noch etwas statisch. Ich sehe mich da im Moment noch als einsamer Rufer. Interview: Manfred Kriener