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Hanau, das Faß ohne Boden

■ NUKEM im Blickpunkt der Staatsanwaltschaft / Die Stadt Hanau fürchtet ums Image

Hanau, die Hauptstadt der deutschen Atomindustrie, seit Jahren skandalerprobt und –geschüttelt, ist mit der Transnuklear-Best Vorwürfe gegen die verluderte Mutter (NUKEM) der skandalösen Tochter (Transnuklear). Der „Hanauer Sumpf“ soll durch einen Untersuchungsausschuß entwässert werden, die Pharaonengräber der SPD sollen endlich geöffnet werden. Die örtliche Staatsanwaltschaft steht schon seit langem unter Streß. Sie will jetzt der NUKEM ans Leder.

Die Initiativgruppe Umweltschutz Hanau (IUH) und die Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Aschaffenburg und Untermain (AGU) haben gestern schwere Vorwürfe gegen die Transnuklear-Mutter NUKEM gerichtet. Wie Elmar Diez (IUH) auf einer Pressekonferenz in Hanau erklärte, gehe die Verantwortlichkeit der NUKEM für den Transnuklear-Atommüll- und Beste chungsskandal weit über die wirtschaftlichen Aspekte der Mehrheitsbeteiligung der NUKEM an der inzwischen von Bundesumweltminister Klaus Töpfer vorübergehend stillgelegten Atom- Transportfirma hinaus.

Diez: „Der Vorsitzende des Transnuklear-Verwaltungsrates, Dr. Manfred Stephany, ist gleichzeitig einer der drei Geschäftsführer der NUKEM. Darüber hinaus haben die drei Hanauer Atomfirmen NUKEM, Hobeg und Transnuklear in ihren konsolidierten Geschäftsberichten immer gemeinsame Gewinn- und Verlustrechnungen präsentiert.“ Diese enge Verflechtung von Managern der Transnuklear und der NUKEM, „bis hin zur personellen Identität“ (Diez), lasse den Schluß zu, daß leitende Mitarbeiter der NUKEM von der Ausschüttung von Bestechungsgeldern durch die Transnuklear zumindest gewußt haben. Diez: „Damit steht die vom Atomgesetz geforderte Zuverlässigkeit der Betreiber von kerntechnischen Anlagen – in diesem Fall von NUKEM – mehr als in Frage.“

Die beiden Umweltschutzgruppen fordern die Hanauer Staatsanwaltschaft auf zu prüfen, ob es aufgrund der Verflechtungen zwischen NUKEM, Transnuklear und Hobeg möglicherweise zu Bilanzfälschungen gekommen sei, die den Tatbestand der unwahren Darstellung oder Verschleierung der Vermögenslage der Gesellschaften gemäß Paragraph 82, Absatz 2 des GmbH- Gesetzes erfüllten. Denn die im Rahmen des Transnuklear-Skandals an Mitarbeiter in diversen Atomkraftwerken und an andere ausgeschütteten rund 21 Millionen Mark Bestechungsgelder seien bisher weder in den Bilanzen noch in den Gewinn- und Verlustrechnungen in den diversen Geschäftsberichten der beteiligten Firmen aufgetaucht.

Die Umweltschützer äußerten abschließend die Vermutung, daß auch die Gesellschafter der NUKEM (RWE 45 Prozent/Degussa 35 Prozent/Metallgesellschaft Frankfurt zehn Prozent und Imperial Smelting Corporation in London zehn Prozent) in den Bestechungsskandal verwickelt sein könnten.

An Bundesumweltminister Töpfer richtete Eduard Bernhard (AGU), der auch Mitglied der Strahlenschutzkommission des BUND ist, die Aufforderung, die Bevölkerung nicht länger an der Nase herumzuführen. Selbst die Hanauer Staatsanwaltschaft habe inzwischen eingeräumt, daß es nicht möglich sei, alle bisher gefundenen rund 2.000 Atommüllfässer zu untersuchen. Bernhard: „Die Aussage von Bundesumweltminister Töpfer, daß alle Fässer untersucht würden, ist nichts weiter als eine Beruhigungspille für die Bevölkerung, die nur davon ablenken soll, daß feststeht, daß der Atommüll nicht mehr beherrschbar ist.“

Nur in den Kernforschungszentren Karlsruhe und Jülich könne mit dem Alpha-Spektrometer der Alpha-Strahler Plutonium (Pu) überhaupt nachgewiesen werden. Dazu müßte allerdings der gesamte Inhalt eines Fasses in Literproben untersucht werden. Jede dieser Einzelfaß-Untersuchungen, so Bernhard weiter, würde „einige Wochen“ dauern.

Doch selbst mit dieser Methode sei es nur möglich, Plutonium nachzuweisen, wenn sich mindestens 20 Milligramm Pu in einem Faß befänden. Bernhard: „Wenn also nur 0,57 Milligramm Plutonium 239 in einem Faß gleichmäßig verteilt sind, ist dies nicht mehr meßbar. Die Angabe, daß in den bisher untersuchten Fässern 0,57 mg Plutonium gewesen seien, kann von daher nur als rechnerische Größe angesehen werden.“ Wie die Umweltschützer auf Nachfrage noch einmal bestätigten, planen Bürgerinitiativen aus Hessen und Nordbayern die Blockade des nächsten, für den 12. Januar terminierten Atommülltransports vom mittlerweile stillgelegten Versuchs-AKW in Kahl (Bayern) nach Schweden. Diese Aktion, so auch der BUND-Naturschutz, stehe in direktem Zusammenhang mit den bundesweiten Protesten entlang der Transportrouten für Atommüll. Nach Auskunft des Karlsteiner Bürgermeisters lagern im Versuchs- AKW Kahl derzeit auch 15 aus Mol (Belgien) stammende Fässer mit betongebundenem Atommüll.

Der Fuldaer Landtagsabgeordnete der Grünen, Fritz Hertle, hat gestern erneut die Forderung nach einer umgehenden Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag bekräftigt. Die Vorgänge um Transnuklear offenbarten einen immer tiefer werdenden Abgrund von Illegalität, Bestechung und Schwerstkriminalität und stellten eine nicht länger hinnehm bare Gefährdung der Bevölkerung dar. Hertle: „Eine schonungslose Aufklärung dieser Vorgänge und deren Hintergründe ist dringend notwendig. Die Ergebnisse des Kieler Untersuchungsausschusses über die Aktivitäten der dortigen Staatskanzlei haben gezeigt, wie wichtig ein solches Instrument zur Aufklärung ist.“

Auch die Bürgerinitiativen verlangten die umgehende Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum gesamten Hanauer Atomkomplex. Elmar Diez richtete in diesem Zusammenhang einen Appell an die hessischen Sozialdemokraten, in dieser Frage über ihren eigenen Schatten zu springen. Diez: „Jetzt muß alles auf den Tisch, auch wenn die SPD in Hessen für die Entstehung dieses Atomsumpfes verantwortlich ist.“ Klaus-Peter Klingelschmitt

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