Stahlkocher pfiffen auf Blüm

■ Aufgebrachte Stahlarbeiter empfingen Bundesarbeitsminister Blüm in Rheinhausen / Betriebsratsvorsitzender von Krupp wurde im Gedränge verletzt / Nächtliche Arbeitsniederlegung im Stahlwerk Rheinhausen

Aus Duisburg Walter Jakobs

Mit einem gellenden Pfeifkonzert haben die Rheinhausener Stahlkocher am Donnerstag Bundesarbeitsminister Blüm empfangen. Die aufgebrachte Menge machte es dem Minister schwer, das Krupp–Verwaltungsgebäude überhaupt zu erreichen. In dem dichten, teilweise gefährlichen Gedränge wurde der Betriebsratsvorsitzende Manfred Bruckschen, der sich in unmittelbarer Nähe von Blüm befand, durch Schläge und Fußtritte so erheblich verletzt, daß er zur ärztlichen Untersuchung mußte und dem Gespräch mit Blüm nicht beiwohnen konnte. Unmittelbare Zeugen sprachen davon, daß Bruckschen wohl auch versehentlich von den Schlägen einiger Sicherheitsbeamter getroffen worden sei, die ihrem Minister auf diese Weise offenbar den Weg bahnten. Erregte Stahlarbeiter riefen Norbert Blüm bei seiner Ankunft zu: „Norbert, hilf uns. Hört endlich auf zu labern. Mach was!“ Eine Frau der Fraueninitiative, die einen eingerahmten Brief übergab, in dem es heißt, daß es nicht angehe, „daß 6.000 Familien ins soziale Abseits geschoben werden, deren Großeltern und Eltern unsere Republik aufgebaut haben“, forderte Blüm mit bebender Stimme auf, „endlich zu handeln“. Irgendwann sei „der friedliche Widerstand zu Ende. Wir wollen das nicht, aber wir kennen unsere Männer. Wer mit dem Rücken zur Wand steht, wirft mit Steinen.“ Eine andere Frau will von Blüm wissen, wie es für sie und ihre zwei Kinder weitergehen soll, wenn ihr Mann seinen Arbeitsplatz verliert. Blüm, blaß und sichtlich mitgenommen: „Ich bin ja hier, weil ich helfen will. Einer allein kann das natürlich nicht.“ Auf die Frage, ob er sich für den Erhalt des Stahlstandortes Rheinhausen einsetzen werde, gab Blüm keine Antwort. „Jeder Arbeitsplatz, der erhaltenswert ist, muß erhalten bleiben“, sagte Blüm. Ob die Arbeitsplätze in Rheinhausen „erhaltenswert“ sind, ließ er offen. Es dürfe aber nicht so sein, daß der eine Standort auf Kosten eines anderen gerettet werde. Ein paar Stunden zuvor hatte an derselben Stelle der SPD–Parteivorsitzende Vogel den Erhalt aller Stahlstandorte gefordert und von der Bundesregierung zusätzliche Mittel verlangt. In ähnliche Rich tung gehen die Forderungen des Betriebsrates an die Bundesregierung. Bei Redaktionsschluß dauerten die Gespräche noch an. Die explosive Stimmung in Rheinhausen war am Donnerstag noch um einiges gereizter als in den Tagen zuvor. Dafür hat der Chef der Krupp–Muttergesellschaft und Vorsitzende des Aufsichtsrates der Krupp–Stahl AG, Dr. Scheider, gesorgt. In einem Interview mit einer Bonner Zeitung hatte Scheider auf die Frage, ob „kein Weg an der Stillegung vorbei führe“, gesagt: „Um die Existenzfähigkeit des gesamten Stahlunternehmens zu erhalten, sind solche Maßnahmen unvermeidlich.“ Scheider weiter: „Sollte jemand in der Lage sein, für die Abdeckung laufender Verluste Geldquellen zu erschließen, würde dies sicherlich die Voraussetzungen ändern.“ Als die Nachtschicht im Stahlwerk dies über Radio vernahm, ließ sie sofort die Brocken fallen. Nach 2 Uhr machte nur die Notbesetzung weiter. Angesichts der „Provokation“ von Scheider fiel die Beteiligung an der für Donnerstag morgen geplanten Autofahrt zu den Kollegen zu Mannesmann–Huckingen besonders hoch aus. Etwa 4.000 Kruppianer fuhren mit Frau und Kindern in 1.000 Autos über den Rhein nach Huckingen, um für Solidarität zu werben. Am Nachmittag ging es dann zur Verwaltung, um Blüm zu „empfangen“, wo mehr als 1.000 Leute bis zum Ende des Gesprächs ausharrten. Am heutigen Freitag wollen die Rheinhausener ihre Krupp–Kollegen in Bochum „besuchen“.