„Wir wissen nicht mehr, als in Zeitungen steht“

Die Überwacher und Experten der Internationalen Atomenergie-Behörde der UNO in Wien läßt der Transnuklear-Skandal bislang seltsam kalt – offiziell jedenfalls / Der deutsch-belgische Skandal sei Angelegenheit der involvierten Länder  ■ Von Thomas Scheuer

Bestechungsskandale, Managerselbstmorde, falsch deklariertes Nuklearmaterial. Derart kriminelle Energien im Bereich der Atomenergie müßten eigentlich alle Alarmglocken schrillen lassen in jener internationalen Behörde, zu deren satzungsgemäßen Anliegen weltweit die Förderung und Überwachung der Sicherheit der Nuklearindustrien gehört: im Hauptquartier der International Atomic Energy Agency (IAEA), einer Spezialbehörde der UN mit Hauptsitz in Wien. Doch dort herrscht Funkstille.

Nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl beeilte sich die Atomlobby, die bis dahin kaum bekannten UNO-Atomiker als die superscharfen Kontrollettis in Sachen nuklearer Sicherheit herumzureichen. Bonns damaliger Bun desreaktorminister Wallmann drängte die IAEA geradezu zu Inspektionstrips in bundesdeutsche Meiler. Des zu erwartenden Persilscheins konnte er sich sicher sein. Gelten die sogenannten OSART-Trupps (OSART = Operational Safety And Review Team) der IAEA in der strahlenden Branche doch keineswegs als gefürchtete Schnüffler, sondern vielmehr – vor allem in der Dritten Welt – als gerngesehene Berater und Gesprächspartner für den Erfahrungsaustausch. Erst Ende November kehrte ein OSART- Team von einer „Mission“ ins AKW Philippsburg bei Karlsruhe (nach Biblis A und Krümmel die dritte Station der von Wallmann inszenierten Tour) zurück. Nach dem Atomwaffensperrvertrag obliegt der IAEA auch – nachträglich in ihre Satzung eingerückt – die weltweite Überwa chung der sogenannten Non-Proliferation, d.h. der Nicht-Weiterverbreitung von militärisch nutzbarem Spaltmaterial sowie entsprechender Technologie. Normalerweise bekommen IAEA- Funktionäre denn auch ganz lange Nasen, wenn es irgendwo nach Plutonium riecht. Die kaum noch zu kontrollierenden, weltweit zirkulierenden Plutoniummengen sind eine der Hauptsorgen mancher IAEA-Experten.

Doch in Sachen Transnuklear hält sich die Behörde seltsam bedeckt. Man sei „offiziell bisher nicht informiert“ und daher „offiziell nicht involviert“, lautet die – offizielle – Begründung für die vornehme Zurückhaltung der IAEA, nach deren – offizieller – Einschätzung der Skandal „eine Sache der zuständigen Länder“ und der „nationalen Autoritäten sei“. Um aktiv zu werden, müßte in Wien die offizielle Anfrage einer Regierung eingehen. Von sich aus einsteigen könnte die IAEA in den Fall höchstens im Rahmen der „Convention on the Physical Protection of Nuclear Material“. Doch diese Konvention, die just die Harmonisierung des internationalen Atom-Transport-Business zum Ziel hat, wurde bislang weder von der BRD noch von Belgien ratifiziert (wie übrigens von allen anderen EURATOM-, bzw. EG-Staaten nicht).

Obwohl Mitarbeiter die Wiener UNO-Atomzentrale ausdrücklich als „Informations- und Clearinghaus“ in Sachen Atom charakterisieren, zieht man sich in Sachen TN immer wieder hinter das Informationsdefizit zurück: „Wir können hier in Wien ja noch nicht einmal das deutsche Fernsehen sehen“, heißt es etwa oder: „Wir wissen nicht mehr, als in den Zeitungen steht, eine zu schwache Basis, um Kommentare abzugeben.“ Soviel weiß man allerdings in Wien seltsamerweise schon: daß es sich „beim Plutonium um derart kleine Mengen handelt, daß in diesem Sinne (= Non-Proliferation, d. Red.) kein Interesse“ besteht. IAEA-“Safeguards“, so heißen die Kontroll-Crews im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages, sind demnächst also weder in Hanau noch in Mol zu erwarten. Soweit also die offizielle IAEA-Lesart. Sollte in der höchsten UNO- Atombehörde tatsächlich niemand weder Beunruhigung verspüren, noch Interesse an derart sicherheitsrelevanten kriminellen Vorkommnissen in der Atom- Branche haben? „Natürlich ist hier jeder daran interessiert, aber dazu offiziell was zu sagen, traut sich keiner“, erklärte ein Mitarbeiter der taz – inoffiziell.