Noch hält die Solidarität der Kruppianer

■ Rheinhausener Stahlarbeiter setzen auf Unterstützung der Kollegen in den übrigen Krupp-Schmieden

Wir werden unsere Kollegen in Rheinhausen nicht im Stich lassen, beteuert der Betriebsrat des Bochumer Krupp-Stahlwalzwerkes bei dem Besuch der Rheinhausener am gestrigen Freitag. Doch hinter vorgehaltener Hand werden auch die Ängste laut, durch eine länger anhaltende Auseinandersetzung womöglich in den Schließungsstrudel mit hineingezogen zu werden, zumal die Konzernspitze mit entsprechenden Äußerungen versucht, den Prozeß der Entsolidarisierung voranzutreiben.

Vier Busse rollen auf das Tor-Süd des Bochumer Krupp-Werkes zu. „Wat is dat denn, wo ist der Rest?“, fragt Karl Heinz Bonten, Betriebsrat aus Rheinhausen. Auf der Autobahn ist die Kette der 30 Busse auseinandergerissen. Einige hundert landen vorübergehend bei der Schmiede, so daß sich der „Besuch“ bei den Kollegen der Warmbreidbandstraße etwas verzögert. Der größte Teil der Rheinhausener Stahlproduktion wird hier in Bochum zu millimeterdünnem Stahl gewalzt. Am Freitag ruht die Produktion. „Aus Solidarität“, so der Bochumer Betriebsrat, „haben wir abgeschaltet.“

Die Rheinhausener sind gekommen, um bei ihren Kollegen um Solidarität zu werben. Die Informationen verdichten sich, daß der Krupp-Vorstand bemüht ist, die Produktionsverluste durch den zeitweisen Streik in Rheinhausen durch Zukauf auszugleichen. „Wenn das Zeug kommen sollte, müßt ihr die Verarbeitung verweigern“, sagt ein Rheinhausener Stahlkocher zu einem Bochumer Kollegen. „Wir können das gar nicht erkennen. Beim Verladen muß das verhindert werden. Das muß der Betriebsrat organisieren. Warum machen die nichts?“, fragt der Bochumer Kruppianer bitter. Doch diese Töne sind unbegründet. Die Kooperation zwischen den Betriebsräten ist längst vereinbart. Schon für Montag sind Gespräche zwischen den Betriebsausschüssen angesetzt. Herbert Kastner, stellv. Betriebsratsvorsitzender von Krupp-Bochum: „Wir werden jede Tonne, die hier produziert wird, mit dem Rheinhausener Betriebsrat diskutieren.“ Eine Aussage, die die umstehenden Rheinhausener erfreut.

Schon am Donnerstag hatten bei einem Besuch der Hütte von Mannesmann in Duisburg-Huckingen die dortigen Kollegen versichert, jede Ersatzproduktion zu verweigern. Herbert Kastner: „Jetzt ist aber auch wichtig zu verhindern, daß die anderen Stahlkonzerne eventuelle Lieferschwierigkeiten von Krupp nutzen, um uns die Kunden abzuwerben.“ Mit dieser Entwicklung hatte Krupp-GmbH-Chef Dr. Scheider, nach Berthold Beitz zweiter Mann im Krupp-Imperium, in dieser Woche gedroht. Der Kampf der Rheinhausener, so Scheiders Botschaft in einem In terview, rette keine Arbeitsplätze, sondern koste zusätzliche. Solche Sätze verfehlen ihre Wirkung nicht. Hinter vorgehaltener Hand, so erzählt ein Bochumer Walzwerker, könne man im Betrieb schon hören, „die Rheinhausener machen uns auch noch platt“. Dennoch, der „Besuch“ in Bochum verläuft insgesamt in wesentlich freundlicher Atmosphäre als zu Anfang der Woche in Düsseldorf-Benrath. Im dortigen Krupp-Edelstahlwerk vermochten selbst die heißen Öfen die frostige Atmosphäre kaum zu vertrei ben. Enttäuscht sind einige Rheinhausener ob der dünnen Bochumer Kollegenschar in der riesigen Halle. Ein Umstand, der aber nicht der mangelnden Solidarität, sondern der Rationalisierung im Stahlbereich zuzuschreiben ist. Ganze 44 Personen fahren pro Schicht die gesamte Straße.

Auch wenn einige Rheinhausener über „die blöde Werksbesichtigung“ lästern, sind die Aktionen in dieser Woche doch erneut mit einem unerwarteten Schwung angegangen worden. „Der Durchhänger“ über die Festtage scheint überwunden. Für zusätzliche Wut und Engagement hat nicht zuletzt Krupp-Boß Dr. Scheider mit seiner Interview-Äußerung von der „unvermeidlichen“ Schließung gesorgt. Wie die Stimmung in Rheinhausen tatsächlich ist, haben die Aktionen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gezeigt. Kaum daß die Meldung in den Nachrichten gelaufen war, schmiß die Nachtschicht die Brocken erneut hin. Nur mit Mühe konnte der Betriebsrat für die zur Bedienung der Anlagen unabdingbare Notbesatzung sorgen. Dann zogen gegen 2 Uhr tausend Stahlwerker mit Fackeln durch den Duisburger Vorort – und sie blieben nicht allein. Tausend Rheinhausener Bürger verließen ihre Betten und schlossen sich dem Zug in der regnerischen Nacht an. Wann hat es jemals in der Bundesrepublik Vergleichbares gegeben?

Der Sprecher der Krupp-Stahl AG, Berg, bezeichnete die Arbeitsniederlegungen als „widerrechtlich“. Das Unternehmen werde das nicht länger hinnehmen. Gegenüber der taz sagte Berg, daß angesichts der Produktionsausfälle „Handlungszwang“ bestehe. Was das im einzelnen bedeute, werde das Werk am Montag mitteilen. Noch seien konkrete Aussagen über einzelne Maßnahmen nicht möglich. Berg: Der Betriebsrat habe seine Zusage vom 16. Dezember, bis zur Stahlrunde am 22. Februar die Produktion nicht zu unterbrechen, nicht eingehalten, sagte Berg. Wie der Kampf um Rheinhausen in den nächsten Wochen weitergeht, vermag im Moment niemand zu sagen. Am Wochenende werden Vertrauensleute, Betriebsräte und Jugendvertreter die weitere Strategie besprechen. Sicher ist, daß die vom Krupp-Sprecher bis zur Stahlrunde am 22. Februar geforderte Ruhe ein Wunschtraum bleiben wird. Kranfahrer Wolfgang Osterwinter erklärte einem Bochumer Kollegen die mögliche Zukunft so: „Ihr habt bisher von uns das Rohmaterial bekommen, weil wir nicht wollten, daß ihr Kurzarbeit machen müßt. Aber es könnte sein, daß ihr demnächst mit den Brammen schlechter über die Runden kommt.“ Walter Jakobs