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IG Metall auf der Suche nach Märkten von morgen

Die Industriegewerkschaft Metall will bleiben, was sie ist. „Wir wollen weder Ersatzarbeitgeber noch Nebenregierung werden“, heißt es in einem bisher unveröffentlichten Papier aus der Frankfurter IGM-Zentrale, das im Dezember fertiggestellt wurde und eine gewerkschaftliche Antwort auf die Branchenkrisen in der Werft- und Stahlindustrie versucht.

Diesem Papier liegt die Einsicht zugrunde, daß die Mobilisierung der krisenbedrohten Belegschaften für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze nicht ausreicht, daß die Beschäftigung in der Werft- oder Stahlindustrie letztlich nicht im bisherigen Umfang gehalten werden kann. Gleichzeitig aber ist die traditionelle Sozialplanpolitik der Gewerkschaften mit ihren Instrumenten der sozialen Absicherung und Frühverrentung an eine Grenze gekommen, wenn nun schon kaum Fünfzigjährige – wenn auch zu finanziell erträglichen Bedingungen – aus dem Erwerbsleben gedrängt werden sollen. Es reicht nicht aus, so heißt es in dem IG-Metall-Papier, „sozialen Flankenschutz zu bieten“. Darüber hinaus sei es notwendig, den Arbeitnehmern und der Bevölkerung in den Krisengebieten und –branchen „eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektive zu verschaffen“.

Bittere Erkenntnis

Im Papier steht eine Aussage, die für die um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfenden Stahlarbeiter gerade aus dem Mund ihrer Gewerkschaft bitter sein muß: „Es geht nicht darum, Industrien von gestern gegen Märkte von morgen zu verteidigen.“ Werft- und Stahlindustrie, das gehört auch in der IGM-Zentrale inzwischen zum gesicherten Erkenntnisstand, werden schrumpfen. Nicht jeder Werft- oder Stahlarbeiter wird seinen Arbeitsplatz behalten können. Diese Binsenweisheit führt aber zu Konsequenzen, die den jetzt kämpfenden Stahlarbeitern nicht schmecken können: „Vorrang hat die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen.“

Schon in der Vergangenheit hat die IG Metall an einzelnen Punkten Konzeptionen entwickelt, die in das jetzt vorgelegte strukturpolitische Konzept eingehen. Bei Grundig in Nürnberg wurde (erfolgreich) eine Konzernkrise mit Hilfe eines von der Gewerkschaft entwickelten „Beschäftigungsplans“ statt eines Sozialplans bewältigt. Der Plan sah die Entwicklung neuer Produktionslinien ebenso vor wie eine erweiterte Mitbestimmung. Vor allem in der Werft- und Rüstungsindustrie in der norddeutschen Krisenregion initiierte die IG Metall betriebliche Arbeitskreise zur „alternativen Produktion“, um die Abhängigkeit von der krisenanfälligen und politisch abzulehnenden Rüstungsindustrie zu lockern. In einzelnen Fällen fanden diese Arbeitskreise Gehör bei der Geschäftsführung, vor allem aber beeinflußten sie die Diskussion innerhalb der Belegschaften.

Die Krisenentwicklung in der Stahl- und Werftindustrie verlangt aber weitergehende Konzeptionen. Die IGM will zunächst die Erstellung regionaler Beschäftigungsanalysen forcieren, um den „beschäftigungs- und gesellschaftspolitischen Bedarf“ vor Ort zu verdeutlichen und die „gesellschaftliche Mobilisierung in der Region“ zu erleichtern. Vor allem aber wird die von der IG Metall geforderte Gründung von Beschäftigungsgesellschaften für die ausscheidenden Stahlarbeiter in dem jetzt vorliegenden Papier genauer umrissen. Kurzfristig sollen die Beschäftigungsgesellschaften das Arbeitsverhältnis und die Einkommen der Stahlarbeiter sichern, gleichzeitig neue Qualifikationen vermitteln und soziale (Mobilisierungs-) Zusammenhänge erhalten. Mittelfristig soll der Übergang von dem bestehenden zu einem zukunftssicheren Ersatzarbeitsplatz innerhalb oder außerhalb des Konzernbereichs ermöglicht werden.

Im Gegensatz zur Werftindustrie befinden sich die Stahlbetriebe in den Händen kapitalkräftiger Konzernzentralen, die nach Meinung der IGM durchaus in der Lage sind, die Finanzierung der Beschäftigungsgesellschaften zu sichern und ihnen das für Unternehmensplanung, Forschung und Entwicklung sowie Marketing nötige qualifizierte Personal zur Verfügung zu stellen. Außerdem denkt die IG Metall an eine Beteiligung durch die Öffentliche Hand und an flankierende öffentliche Unterstützung durch Kurzarbeitergeld, Personalkostenzuschüsse, Forschungs- und Entwicklungszuwendungen sowie Investitionshilfen.

In Ansätzen hat die IG Metall im letzten Jahr in einer Vereinbarung mit der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl bereits durchsetzen können, daß die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen höchste Priorität bekommen soll. Die Unternehmen verpflichteten sich in dieser Vereinbarung, Investitionen auf die Krisengebiete zu konzentrieren und Entlassungen bis auf weiteres zurückzustellen. Eine Konkretisierung dieser Vereinbarung steht bis heute aus. In dem Papier wird nun gefordert, auf Konzernebene Expertenkommissionen aus Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern einzusetzen, um „praktikable Vorschläge für die Erweiterung des Produktionsprogramms“ und deren Finanzierung zu erarbeiten.

Regionaler Bedarf

Was sollen Arbeiter in Zukunft in den Beschäftigungsgesellschaften oder in den neu entwickelten Produktionsbereichen der Stahlkonzerne machen? Neben der Rekultivierung von Industriebrachen, die bisher immer als Beispiel genannt wurde, hat die IG Metall in dem Papier eine ganze Liste von gesellschaftlich nützlichen Investitionen genannt, die „schrittweise weiter konkretisiert werden“ müssen. Als „gesellschaftliche Bedarfsfelder des Ruhrgebiets“ werden vom Gewässerschutz über die Luftreinhaltung bis zur Abfallwirtschaft und Verkehrspolitik vor allem ökologische Investitionsvorhaben genannt und bis in die daraus sich ergebenden Produktionserweiterungen in unterschiedlichen Branchen konkretisiert.

Ein solches Investitionsprogramm setzt allerdings finanzielle Mittel voraus, die es derzeit weder bei den Kommunen der Krisengebiete, noch in der Region gibt und die gegen die konservative Bonner Regierung erkämpft werden müssen. Deshalb setzt die IG Metall nicht nur auf eine notwendige weitere „Konkretisierung“ ihrer Vorschläge, sondern auch auf eine „verstärkte politische Mobilisierung“. Martin Kempe

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