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Zwei Morde und eine unerfindliche Not

„Lebenslänglich“ gegen Monika Weimar / Vor dem Fuldaer Landgericht herrschte Volksfeststimmung / Gericht: Reinhard Weimar hatte „das bessere Motiv“ / Die Verteidigung kündigte Revision beim Bundesgerichtshof an  ■ Aus Fulda Heide Platen

Im Namen des Volkes sprach der Vorsitzende Richter Klaus Bormuth am Freitag nachmittag Monika Weimar des Mordes in zwei Fällen schuldig. Und das Volk applaudierte dem Urteil „Lebenslang“ stehend. Rentnerinnen klatschten begeistert in die Hände, Hausfrauen riefen „Bravo“. Monika Weimar hörte das Urteil mit ausdruckslosem Gesicht. Ihre beiden Verteidiger Schultze und Dähn hoben hilflos die Hände und waren sichtlich entsetzt.

Vom frühen Morgen an hatte sich eine Menschenmenge um das Fuldaer Landgericht gedrängt. Fast tausend Schaulustige warteten in Volksfeststimmung auf die Angeklagte. Sie waren sich sicher: Monika Weimar hat am Vormittag des 4. August 1986 ihre beiden fünf- und siebenjährigen Töchter Karola und Melanie erwürgt und erstickt, weil sie ihrer Beziehung zu einem amerikanischen Soldaten im Wege waren. Die Frau hatte nach anfänglichem Schweigen ihren Ehemann der Tat bezichtigt.

Für die Menge stand fest: „Die Amihure war es!“ Als Monika Weimar aus dem Hinterausgang des Gerichtsgebäudes gebracht wurde, skandierte die Menge: „Hexe! Hexe!“ Die Menschen rannten und drängten, ältere Frauen brachen sich mit Regenschirmen und Handtaschen Bahn: „Da kommt das Schwein!“, und: „Die sollte man gleich erschießen!“ Das für Monika Weimar bereitstehende Polizeiauto mußte sich im Schrittempo mit Blaulicht und Sirene einen Weg durch die Menge bahnen.

Monika Weimar war schon im Gerichtssaal weinend zusammengebrochen, als sich eine Menschentraube um sie drängte. Das Gericht, das ein Fotografierverbot im ganzen Haus verhängt hatte, setzte seine Order nicht durch. Als Monika Weimar noch im Pulk der Schaulustigen und Fotografen im Saal unterging, verließ Richter Bormuth schon im Mantel das Gebäude.

Bei den ProzeßbeobachterInnen löste das Urteil Überraschung aus. Sie hatten mit einem Freispruch gerechnet. Selbst die Regenbogenpresse, die die mordende „Mutter Weimar“ auflagenträchtig vermarktet hatte, war kurz vor Ende des Prozesses umgeschwenkt.

Das Gericht wertete vor allem die Aussagen der Hauptbelastungszeugin und ihrer Verwandten, einer seit 1983 mit den Weimars verfeindeten Familie im mittelosthessischen Drei-Häuser- Ort Röhrigshof-Nippe. Richter Bormuth sagte auch, Monika Weimars Ehemann Reinhard Weimar habe ohne Zweifel „das bessere Motiv“ gehabt. Das Motiv der Frau bleibe nach wie vor „weitgehend im Dunkeln“. Sie, die ihre Kinder sicher „geliebt“ habe, habe sich möglicherweise „in großer Not“ befunden.

„Die Kammer neigt dazu“, sagte der Richter, „anzunehmen, daß Streitereien mit ihrem Geliebten Kevin P. Auslöser für die Morde waren.“ Der habe sie unter Druck gesetzt, weil sie die Scheidung nur zögerlich betrieb: „Es ist zumindest vorstellbar, daß sie ihre Lage sehr kritisch eingeschätzt hat.“ Und: Das sei zwar „sehr hypothetisch“, aber: „Wie es auch sei, sie hat ihre Kinder getötet.“ Die beiden psychologischen und psychiatrischen Gutachten, die Monika Weimar von ihrer Persönlichkeitsstruktur her dieser Tat nicht für fähig hielten, berücksichtigte das Gericht nicht.

Auch die ausführlichen Sachgutachten, die keinen Beweis der Schuld erbracht hatten, beachtete das Gericht nicht. Es überraschte aber mit einer Tatversion, die sich von den drei von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Angeklagter in das Verfahren eingebrachten Versionen unterschied. Danach hat Monika Weimar am Vormittag des Tattages Besorgungen bei Bank und Post im Nachbarort gemacht und ist dann zu einem Parkplatz an der Landstraße gefahren. Sie sei zum Mord entschlossen gewesen und habe ausgekundschaftet, wo sie ihre Kinder verstecken könne. Dabei sei sie gesehen worden. Dann habe sie die Kinder vom Spielplatz geholt, sie an einem anderen, nicht ausgekundschafteten Ort umgebracht und dort beide versteckt. Da sie aber gewollt habe, daß die Kinder ein ordentliches Begräbnis bekommen, habe sie die ältere Tochter dann wieder ins Auto geladen und sie zu dem belebteren – ausgekundschafteten – Parkplatz gebracht. Sie sei dann heimgekehrt. Dabei sei sie nicht gesehen worden. Sie habe das Essen vorbereitet und ihren Mann auf die Suche nach den Kindern geschickt, um den Verdacht „auf Dritte“ zu lenken.

Der Tathergang, den Monika Weimar geschildert habe, sei dem Gericht dagegen „nicht vorstellbar“. Als ausgebildete Krankenpflegerin hätte sie selber Hilfe leisten oder aber Hilfe holen müssen, als sie ihren Mann nachts neben den toten Kindern gefunden habe. Die Rechtsanwälte Dähn und Schultze kündigten an, daß sie Revision beim Bundesgerichtshof beantragen werden. Sie erklärten, das Urteil verstoße gegen alle „Denkgebote“. Das Gericht habe gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“ verstoßen und „aus der Tiefe seines Gemüts“ entschieden. Ulrich Dähn: „Wenn jetzt die Verteidigung die Unschuld der Mandanten beweisen muß, dann sehe ich Gefahr für unser Land.“

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