Ein neuer Schachzug in Sachen Kalkar

■ Der Rückzug des Inbetriebnahmeantrags für den Schnellen Brüter bedeutet nicht dessen Tod

Der Brüter in Kalkar, bald fünfzehn Jahre im Bau und inzwischen sieben Milliarden teuer, sorgt einmal mehr für Schlagzeilen. Die vorläufige Rücknahme des für die Inbetriebnahme entscheidenden Antrags wird vielerorts als weiterer Schritt zum endgültigen Tod des Brüters gewertet. Doch der bereits vor Monaten Arm in Arm mit Bundesumweltminister Töpfer angekündigte Kurswechsel der Betreiber könnte die Genehmigungsbehörde in arge Bedrängnis und den Brüter näher ans Netz bringen.

Der Coup, den die Bundesregierung im Verein mit den Herstellern des Kalkarer Brüters ersonnen hatte, war fein gesponnen. Ausgeheckt wurde er bereits im vergangenen Herbst. Damals einigten sich Bundesreaktorminister Töpfer und die Herren von der Schnell-Brüter-Kernkraftwerks- GmbH (SBK) darauf, den für die Inbetriebnahme des Milliardengrabs am Niederrhein entscheidenden Antrag zur Einlagerung der Reaktorbrennelemente vorerst zurückzuziehen. Dieser Antrag, so die realistische Einschätzung der Brüter-Befürworter, hatte nach dem „Umstieg“ der nordrhein-westfälischen SPD- Genehmigungsbehörde ins Lager der Brüter-Gegner ohnehin kaum Chancen, in absehbarer Zeit positiv beschieden zu werden. Gleichzeitig scheute Töpfer davor zurück, gegen die von der Düsseldorfer Genehmigungsbehörde vorgetragenen massiven Sicherheitsbedenken die große Keule einer Bundesweisung zu schwingen. Die „sicherheitstechnischen Probleme“, schrieb Töpfer an den Bundeskanzler, der endlich Taten sehen wollte, müßten „auch im Falle der Bundesweisung aufgegriffen und geprüft werden“. In dieser Situation verfiel man in Bonn auf die Idee, die Nordrhein- Westfalen mit der nun vollzogenen Antragsänderung in die Bredouille zu bringen.

In Düsseldorf wird man große Probleme haben, den nun vorliegenden abgemagerten Antrag abzulehnen, enthält er doch im wesentlichen solche Vorhaben, die von der Genehmigungsbehörde selbst seit langem gefordert wurden. Die beantragten baulichen Veränderungen, Errichtung von äußeren Sicherungseinrichtungen und Nachrüstungen an den Lüftungsanlagen für das Reaktorgebäude können die Sicherheit des Brüterbetriebs zwar nicht erhöhen, aber ebensowenig verringern. Lehnt die Landesregierung den Antrag dennoch ab, könnte Töpfer mit größerer Aussicht auf Erfolg bei den dann folgenden juristischen Auseinandersetzungen eine Bundesweisung erteilen. Stimmt sie ihm jedoch zu, stehen die SPD-Atomstrategen einmal mehr als die großen Umfaller da.

Die Erteilung einer weiteren, der dann achtzehnten Teilerrichtungsgenehmigung durch die nordrhein-westfälische Landesregierung würde die Brüter-Betreiber aber auch faktisch ihrem Ziel, das sieben Milliarden schwere Monstrum nach inzwischen fast 15jähriger Bauzeit ans Netz gehen zu lassen, ein gutes Stück näher bringen. Zwingend verbunden mit jeder neuen Teilgenehmigung ist nämlich die Erneuerung des sogenannten „vorläufigen positiven Gesamturteils“ über die Anlage, das Genehmigungsminister Jochimsen im Sommer 1986 vorläufig aussetzte. Dieses Gesamturteil wird aber nach der herrschenden juristischen Lehrmeinung mit jeder Wiederholung weniger „vorläufig“. Mit anderen Worten: Der juristische Spielraum der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die Inbetriebnahme des Brüters letztlich zu verweigern, wäre nach der achtzehnten Teilgenehmigung geringer als nach der siebzehnten.

Von all dem ist in den Meldungen des Wochenendes wenig zu hören. Was von Betreibern und Bundesregierung als kühler Schachzug auf dem Weg zur Inbetriebnahme des Brüters ausgeknobelt wurde, erscheint in den Agenturmeldungen als Rückfall in die „Errichtungsphase“. Die Quelle dieser Lesart sprudelt im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium des SPD-Ministers Jochimsen, der in dieser Eigenschaft Chef der Genehmigungsbehörde ist. Dort habe man immer schon gesagt, der Brüter sei für die Einlagerung von Brennelementen noch nicht fertiggestellt, erklärte Ministeriumssprecher Schulte. Die Betreiberseite habe dies bisher bestritten: „Jetzt gibt sie es selbst zu“. Der Bonner SPD-Fraktionsvize Volker Hauff setzt noch eins drauf und erklärt die Rücknahme des Antrags auf Einlagerung der Brennelemente zum „ersten Schritt in die richtige Richtung“.

Der Sprecher der als Generalunternehmer der SBK tätigen Atomfirma Interatom, Jürgen Ibowski, beklagt sich unterdessen über die „Fehlinterpretation“ der Antragsrücknahme. Der Schnelle Brüter sei nach wie vor „fertiggestellt und betriebsbereit“. Die nun beantragten Veränderungen hätten auch parallel zum nuklearen Betrieb vorgenommen werden können. Man habe lediglich den Stillstand in Kalkar beenden wollen, der Monat für Monat zehn bis zwölf Millionen Mark verschlingt.

Mit der geänderten Antragslage wird sich die Entscheidung über das weitere Schicksal des „Milliardengrabs am Niederrhein“ voraussichtlich weiter verzögern. Die NRW-Landesregierung hat bereits angekündigt, sie wolle den neuen Antrag „sorgfältig“ prüfen. Das kann dauern. Ihrem Ziel, den Brüter letztlich an den Faktoren Zeit und Geld scheitern zu lassen, kommt sie damit allerdings kaum näher. Bereits im vergangenen Herbst einigten sich Bundesregierung, Hersteller und – als künftiger Betreiber – das „Rheinisch Westfälische Elektrizitätswerk“ (RWE) im Grundsatz auf eine Drittelung der in den kommenden drei Jahren anfallenden Kosten von etwa 300 Millionen Mark für den Brüter-Stillstand. In der vergangenen Woche bekanntgewordene Versuche des RWE, andere Stromriesen in Sachen Brüter in die Pflicht zu nehmen, sollen wohl kaum den Ausstieg aus dem Projekt vorbereiten, sondern eher die Kosten auf mehr Schultern verteilen.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat, nachdem sie nach siebzehn erteilten Teilgenehmigungen wichtige Sicherheitsbedenken der Brüter-Gegner übernommen hatte, gehofft, die Betreiber würden irgendwann von sich aus das Handtuch werfen. „Der Brüter wird am Geld schei tern“, erklärte unter der Hand ein hoher Beamter aus dem Jochimsen-Ministerium bereits vor fast drei Jahren.

Doch der vom Düsseldorfer SPD-Fraktionsvorsitzenden Friedhelm Farthmann einst vorhergesagte „langsame, leise Tod“ des Brüters ist mit der neuen Ent wicklung eher unwahrscheinlicher geworden. Eine endgültige Entscheidung gegen den Brüter kam in den strategischen Überlegungen der Rau-Regierung bisher nicht vor. Bleibt man in Düsseldorf bei dieser Haltung, wird die Entscheidung voraussichtlich nicht mehr vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen fallen, die im Frühjahr 1990 anstehen. Danach aber könnte der Brüter-Fan Blüm an Rhein und Ruhr regieren – oder Johannes Rau mit einer FDP, die erst vor wenigen Wochen ihr „Ja“ zur Inbetriebnahme bekräftigt hat. Gerd Rosenkranz