Generationskonflikt in der PLO

„Sie haben für uns gekämpft,

bis sie getötet wurden,

und wir saßen derweil in

unseren Kaffeehäusern...“

In diesen Zeilen eines Gedichtes, das derzeit in der israelisch besetzten Westbank und dem Gaza- Streifen kursiert, mockiert sich der Dichter über palästinensische Führer, die das Vokabular des Kampfes im Munde führen, in Wirklichkeit jedoch ein bequemes persönliches Auskommen suchen. Der Rückgriff auf derartige Verse zeigt, daß neben der Ablehnung der israelischen Besatzung auch Ärger über die traditionelle palästinensische Führung bei den Protestaktionen auf den Straßen eine Rolle spielt.

„Hast du ein einziges Bild von Arafat während der Aufstände gesehen?“ fragt ein palästinensischer Aktivist, und er gibt selbst die Antwort: „Es gibt kein einziges! Die Parole heißt jetzt: „Niemand wird uns sagen, was wir tun sollen. Wir handeln selbst.“ Er beeilt sich hinzuzufügen: „Das heißt aber nicht, daß Arafat hier keine Unterstützung hat.“

Dies ist ein anderes Bild, als es einige israelische Politiker von den jüngsten Unruhen zeichnen. So hat der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Benjamin Netanyahu, die Auseinandersetzungen das Werk „terro ristischer Organisationen“ genannt. Dagegen erklärt selbst Verteidigungsminister Jitzhak Rabin, der innerhalb seiner eigenen Arbeiterpartei als Hardliner gilt, am 23. Dezember vor der Knesset: „Die gewalttätigen Ausschreitungen sind vor dem Hintergrund lokaler Ereignisse ausgebrochen und waren das Ergebnis einer spontanen Organisierung.“ Palästinensische und israelische Experten stimmen darin überein, daß die PLO und andere Gruppen die Proteste ermutigt und mitgetragen haben, nachdem sie einmal begonne Rashit. „Er brauchte zwei oder drei Tage..., um den Erfolg auszunutzen, und dann konnte er nur einen Apparat beisteuern, aber nicht dem Ganzen eine Richtung geben.“

Emotionale Bindung statt ideologischer Einbindung

Die Unterstützung für die PLO in den besetzten Gebieten ist nach wie vor groß. Doch dabei handelt es sich eher um eine emotionale Bindung an das Symbol des palästinensischen Nationalismus als um sklavische Zugehörigkeit zu einer Organisation und deren Programm. „Die Jungs sind die Soldaten“, kommentierte Yehuda Litani von der Jerusalem Post. „Das Problem ist nur, daß die Offiziere fehlen.“ Es könne durchaus sein, daß die traditionelle palästinensische Führung sich wieder behaupten werde, fügte Litani hinzu. Er zitierte einen palästinensischen Aktivisten aus Ostjerusalem mit den Worten: „Wenn Arafat klug ist, wird er sich dieser Strömung unterwerfen und zulassen, daß sie ihn weiter vorwärts schwemmt.“ In jedem Fall aber werde die gegenwärtige Protestbewegung den Menschen in den besetzten Gebieten einen viel größeren Einfluß in den palästinensischen Organisationen im Ausland geben, meinte ein anderer palästinensischer Aktivist.

Die Protestaktionen auf den Straßen haben das Ansehen älterer Führer in den besetzten Gebieten angeschlagen. Das gesteht auch Hanna Siniora, Herausgeber der PLO-nahen arabischen Zeitung Al Fajr, ein. Er spricht von einer „Botschaft an die Adresse der traditionellen lokalen Führung, die lautet, daß es nicht genug ist, Cocktailparties aufzusuchen und mit ausländischen Würdenträgern zu reden. Sie müssen mehr tun.“ Es entbehrt nicht der Ironie, daß Siniora am Donnerstag letzter Woche ebenfalls einen Rückschlag hinnehmen mußte. Eine Pressekonferenz, auf der er den Anfang einer Kampagne des zivilen Ungehorsams ankündigen wollte, wurde von einigen Palästinensern boykottiert, die das Gefühl hatten, er wolle sich selbst ins Rampenlicht rücken.

Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen sind auch Ausdruck eines Generationswechsels. „Das ist die Botschaft der Generation von 1967“, sagt einer der Führer auf der Westbank und meint die Palästinenser, die unter der israelischen Besatzung geboren wurden. Über die Hälfte der Bevölkerung in den besetzten Gebieten ist jünger als zwanzig Jahre, und etwa 60 Prozent sind unter 25. Auf der Westbank und im Gaza-Streifen leben etwa 300.000 junge Palästinenser zwischen 15 und 24 Jahren.

Bei den jüngsten Protestaktionen hat diese Gruppe die aktivste Rolle gespielt. Diese Jugendlichen sind vielleicht nicht so wortgewandt wie diejenigen älteren Palästinenser, die fließend Englisch sprechen und sich auf dem Parkett diplomatischer Banketts auskennen, aber sie verfügen über einen großen Wortschatz von hebräischen Schimpfwörtern, die sie den Soldaten an den Kopf werfen. Selbst ihre Parolen schreiben sie häufig in arabisch und hebräisch.

Ein weiterer Unterschied zu früheren sogenanten „Unruhen“: Diesmal gingen die Demonstrationen vor allem von den Flüchtlingslagern aus, während in der Vergangenheit meist die Universitäten im Zentrum der Ereignisse standen. Zwar kam es auch seit dem 8. Dezember zu Demonstrationen auf dem Campus, doch spielen diese Institutionen heute eine wesentlich geringere Rolle. Auf die Frage eines Journalisten, was er tue, wenn sein Vater ihm verbiete, auf eine Demonstration zu gehen, antwortet ein palästinensischer Jugendlicher aus dem Lager Balata bei Nablus heute: „Ich sage ihm, er soll den Mund halten! Wenn er sein Land 1948 nicht verlassen hätte, wären wir heute nicht in Balata. Er hat kein Recht, mir etwas zu sagen, denn er ist der Grund dafür, daß es heute Demonstrationen gibt.“

Rivalitäten treten in den Hintergrund

Eine zunehmende Zahl von Palästinensern, vor allem aus Gaza, wenden sich heute dem radikalen islamischen Fundamentalismus zu. Doch während der jüngsten Proteste sind die Rivalitäten zwischen Fundamentalisten und laizistischen Nationalisten in den Hintergrund getreten.

Politische Beobachter sehen auch noch ökonomische Gründe, die zur Frustration der jungen Generation über die Besatzung beigetragen haben. Die Zeiten, da viele Palästinenser aus den Lagern in den Golfstaaten Geld verdienen konnten, sind vorbei. Die einzige Möglichkeit ist häufig, in Israel Arbeit zu suchen, sei es als Kellner in einem Restaurant in Tel Aviv, auf dem Bau, oder als Orangenpflücker in einem Kibbutz. Doch die Tatsache, daß diese Palästinenser die Israelis ihr Leben lang aus nächster Nähe erleben, führt offensichtlich nicht zu größerem Verständnis, sondern, gekoppelt mit der persönlichen Perspektivlosigkeit, zu wachsender Verbitterung. Dan Fisher (wps)