Palästinas Jugend gibt keine Ruhe

■ Israels Politiker und Armee sind mittlerweile ratlos, wie sie die Eskalation stoppen sollen

Die Hoffnungen der israelischen Regierung, die Proteste in den besetzten Gebieten würden nach Neujahr – dem Jahrestag der Al Fatah – abflauen, war verfrüht. Obwohl Israel seine Militärpräsenz verdreifacht hat und durchschnittlich ein Palästinenser pro Tag erschossen wird, gehen die Jugendlichen weiter auf die Straße. Die Konfrontationen mit der Besatzungsmacht hat ihnen ein neues Selbstbewußtsein gegeben.

Israel ratlos – so kann man den Stand der Diskussion der Jerusalemer Regierung beschreiben. Immerhin hat Verteidigungsminister Jitzkhak Rabin jetzt eingestanden, daß die Revolte in den besetzten Gebieten nicht so schnell beendet werden kann. Er erklärte am Sonntag im Kabinett, eine große Zahl von Soldaten müsse weiterhin in der Westbank und den Gaza- Streifen stationiert bleiben. „Es wird eine komplizierte und langfristige Angelegenheit sein, die Ordnung wiederherzustellen“, erläuterte der Minister seine Einsicht. Nach seiner Rückkehr aus den USA hatte Rabin vor Weihnachten noch gesagt, die Politik der „eisernen Faust“ werde es ermöglichen, Ruhe und Ordnung in den besetzten Gebieten schnell wiederherzustellen.

„Rabin hat fünf Wochen gebraucht, um festzustellen, daß das, was sich in den besetzten Gebieten abspielt, kein vorübergehendes Phänomen ist“, kommentierte die Jerusalem Post bissig. „Es kann Wochen oder Monate dauern, bis wieder stabile Zustände herrschen.“ In israelischen Regierungskreisen sehe man sich mit einem Phänomen konfrontiert, das noch kaum begriffen werde. „Es gibt selbst unter den traditionellen palästinensischen Führern in den (besetzten) Gebieten niemanden, mit dem wir reden können“, klagt derweil ein Beamter aus dem Verteidigungsministerium. Die arabischen Notablen hätten sich als unwirksame Känale für den Versuch erwiesen, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.

Doch auch die Taktik von Rabin hat dies bislang nicht erreicht. Im Gegenteil, die Situation zeigt trotz der massiven militärischen Präsenz Anzeichen weiterer Eskalation. Massenverhaftungen, Verbannungsanordnungen und Fälle von administrativer Haft ohne Gerichtsverfahren haben sich bislang als wirkungslos erwiesen. Der durch Ausgangssperren erzeugte wirtschaftliche Druck – weil für viele Verdienstmöglichkeiten wegfallen – hat ebenfalls nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Auch wenn diese Taktik weiterhin angewandt wird, bleibt die Frage, ob das nicht die internationale Kritik an Israel verstärkt oder die Palästinenser umso aufgebrachter reagieren.

Obwohl jetzt gepanzerte Truppentransporter und Hubschrauber in den besetzten Gebieten eingesetzt werden, die aus der Luft mit Tränengas und Rauchgranaten versuchen, große Demonstrationen aufzulösen, „nehmen die Unruhen ständig an Intensität zu“, wie ein hochrangiger Militär klagt. „Heckenschützen sind eingesetzt worden, um wichtige Provokateure in die Beine zu schießen, Truppen und Offiziere aus den vordersten Linien wurden in großer Anzahl eingesetzt, Straßensperren sind errichtet worden, Ausgangsverbote verhängt worden, und das in einem Ausmaß wie noch nie zuvor“, beteuert der hohe Offizier. „Und jetzt wurde noch den Medien untersagt, über die Ereignisse zu berichten. Alles, was wir tun können, ist zu den gleichen Maßnahmen zu greifen wie bisher, nur in verstärktem Ausmaß.“ Amos Wollin