„Nationale Führung“ meldet sich

In einem Flugblatt wird die israelische Regierung aufgefordert, die Politik der „eisernen Faust“ einzustellen und freie Wahlen zu den Ortsräten zuzulassen / Erster konkreter Forderungskatalog seit Beginn der Revolte  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Zum ersten Mal seit dem Beginn der palästinensischen Protestbewegung in der Westbank und dem Gaza-Streifen vor fünf Wochen hat sich eine „Vereinte Nationale Führung des Aufstands“ per Flugblatt zu Wort gemeldet. In dem Text wird zu weiteren Aktionen aufgerufen, zugleich jedoch werden – ebenfalls zum ersten Mal – konkrete Forderungen an die israelische Regierung formuliert.

Bei den Unterzeichnern soll es sich um eine breite Aktionseinheit der verschiedenen palästinensischen Organisationen in den besetzten Gebieten handeln. Namen werden nicht genannt, da die politischen Parteien der Palästinenser nicht geduldet werden.

Dem Flugblatt zufolge, das in der Westbank und dem Gaza- Streifen verteilt wurde, soll nach dem seit Montag stattfindenden dreitägigen Generalstreik am kommenden Freitag ein Tag der „Einheit und Solidarität“ begangen werden, an dem die Bevölkerung der Toten und Verletzten des Aufstandes gedenkt. Der Text nimmt auch Bezug auf die Resolution der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), deren Zentralrat nach einer Sitzung in der irakischen Hauptstadt Bagdad zur Intensivierung des „Volksaufstandes“ aufgerufen hatte.

Die Unterzeichner des Flugblattes fordern die Besatzungsmacht zunächst auf, ihre Politik der „eisernen Faust“ einzustellen. Die israelischen Truppen sollen aus den palästinensischen Flüchtlingslagern zurückgezogen und Maßnahmen wie Verbannungen zurückgenommen und alle im Zuge der Proteste Festgenommenen freigelassen sowie die Gefan genenlager Ansar II im Gaza- Streifen und Daharye auf der Westbank geschlossen werden. Schußwaffen gegen Demonstranten sollen künftig nicht mehr eingesetzt und Angriffe auf religiöse Institutionen eingestellt werden.

In politischer Hinsicht fordert die „Nationale Führung“ freie Wahlen für die lokalen Stadt- und Ortsräte.

Die von Israel eingesetzten Verwaltungen sollen nicht länger anerkannt werden. Die Unterzeichner des Flugblatts sprechen sich ferner für eine Abschaffung der Mehrwertsteuer in den besetzten Gebieten sowie ein Ende der Landnahme und einen Stopp des Baus weiterer jüdischer Siedlungen aus. Schulen, Universitäten, öffentliche Institutionen und Gewerkschaftsbüros sollen nicht länger von Schließungen betroffen sein. Und Minister Ariel Sharon soll sein gerade bezogenes Haus im arabischen Ostjerusalem wieder räumen.

Nach diesem ersten Flugblatt der „Nationalen Führung“ wird nun in den besetzten Gebieten mit weiteren Erklärungen gerechnet. Ein früheres „Komitee der Nationalen Führung“, das sich nach dem Abkommen von Camp David (1978) gebildet hatte, wurde 1982 durch den damaligen Verteidigungsminister Sharon aufgelöst, mit der Begründung, es sei eine Unterabteilung der PLO. Bereits zuvor waren zwei nationalistisch eingestellte, 1976 gewählte palästinensische Bürgermeister nach Jordanien verbannt und zwei weitere bei Anschlägen schwer verletzt worden. Seither hatten in den besetzten Gebieten keine Wahlen mehr stattgefunden.

Die Veröffentlichung des Flugblattes zeigt, daß die in der Vergangenheit häufig zerstrittenen palästinensischen Organisationen in den besetzten Gebieten nun zu einer Art Aktionseinheit zusammengefunden haben und sich gemeinsam an die Öffentlichkeit wenden. Mit von der Partie sind offenbar auch religiöse Gruppierungen, die im Gaza-Streifen eine größere Rolle spielen als auf der Westbank.

Die erste Reaktion auf das Flugblatt in den besetzten Gebieten war eindeutig: Der seit Montag laufende Generalstreik wird weitestgehend befolgt. Seitens der israelischen Regierung lag zunächst keine Stellungnahme zu den Forderungen der „Nationalen Führung“ vor.