Liberia – der einundfünfzigste US-Stern

Amerikanische Finanzexperten haben im westafrikanischen Liberia die Staatsverwaltung übernommen: Fortan kann dort kein Haushaltsgeld mehr ausgegeben werden, ohne daß ein US-bestellter Quästor den Zahlungsscheck gegenzeichnet / Ein Beispiel neo-kolonialer Einmischung oder die Fortsetzung einer Tradition  ■ Aus Monrovia Knut Pedersen

Seit jeher ist Liberia, wie sein Name verrät, ein freier und unabhängiger Staat. Aber seit jeher auch lebt Monrovia – seine nach dem amerikanischen Präsidenten James Monroe benannte Hauptstadt – mit Blick auf die USA: 1820 segelten vom anderen Atlantikufer 181 „Gründerväter“ an die Pfefferküste Afrikas, die ersten „befreiten“ Negersklaven. Sie gründeten den „Freistaat“ Liberia, d.h. sie kolonisierten ihre schwarzen, dort ansässigen Brüder. Mit Erfolg, wie ein Auszug aus dem Logbuch des 1847 an die liberianische Küste verschlagenen Sklavenhändlers Theophilus Conneau verrät: „Das Gebiet hier wird von Farbigen regiert, die noch vor wenigen Jahren in den Vereinigten Staaten Sklaven oder verachtete Bürger waren. Aber heute kann Liberia stolz darauf sein, von würdigen Männern regiert zu werden, die – abgesehen von ihrer Hautfarbe – auch jeder anderen Nation zur Ehre gereichten“.

Knapp 150 Jahre, nachdem diese Zeilen geschrieben wurden, nahm die afro-amerikanische Kolonialherrschaft in Liberia ein brüskes Ende: ein nur dreißigjähriger Hinterwäldler, der Hauptkorporal Samuel Kanyon Doe, stürmte den Präsidentenpalast. Staatschef Tolbert und seine engsten Mitarbeiter wurden am Strand öffentlich hingerichtet und in ein Massengrab geworfen – die Weltöffentlichkeit war schockiert über den barbarischen Machtwechsel. Zu recht, aber auch weil kaum jemand verstand, daß im liberianischen Kontext die gewaltsame Machtergreifung des „Buschnegers“ Doe Emanzipation von anderthalb Jahrhunderten afro-amerikanischer Fremdherrschaft bedeutete: Eine historische Zäsur, die man anderswo in Afrika gewöhnlich mit Euphorie als „Entkolonisierung“ bezeichnet.

Der inzwischen selbsternannte General Samuel Doe ist seit dem 12. April 1980 an der Macht. Und im Laufe der vergangenen acht Jahre hat er die traditionelle amerikanische „Schutzmacht“ – mit perfidem Recht – als Kolonialherrn behandelt... und rückhaltlos zur Ader gelassen: rund 500 Millionen Dollar öffentlicher Entwicklungshilfe sind nach Liberia geflossen – pro Kopf mehr als in irgendein anderes schwarzafrikanisches Land. Und das, obgleich der amerikanische Rechnungshof dem Kongreß in Washington bewiesen hat, daß ein Zehntel, d.h. mindestens 50 Millionen Dollar, seit 1980 in die Taschen des Präsidenten Doe gewandert sind. Der demokratische Senator Edward Kennedy hat denn auch Doe öffentlich vorgeworfen, sich „auf Kosten des amerikanischen Steuerzahlers schamlos zu bereichern“. Und der Dollarsegen aus den USA wurde im vergangenen Jahr von vormals 80 auf „nurmehr“ 50 Millionen nach unten revidiert.

Beim Geld endet die Souveränität

Aber während das amerikanische Parlament Herrn Doe die „Stütze“ zusammenstreicht, ist die Reagan-Adminstration auf eine originellere Idee gekommen. Zwei Jahre lang werden 17 „operationelle“ Experten die Schlüsselpositionen der liberianischen Finanzverwaltung besetzen: In der Zentralbank, in den Haushalts-, Handels- und Finanzministerien und im staatlichen Monopolverband für landwirtschaftliche Ex portprodukte. Der Clou der Geschichte: Fortan kann in Liberia kein Haushaltsgeld mehr ausgegeben werden, ohne daß ein amerikanischer Quästor den Zahlungsscheck gegenzeichnet! „Unsere nationale Souveränität wird mit Füßen getreten“, empören sich im Chor die liberanischen Oppositionsparteien. Und selbst die amerikanische Wochengazette Newsweek spricht von einer „beispiellosen Einmischung in die Finanzen eines fremden Staates“.

Ein flagrantes Beispiel neo-kolonialer Einmischung ? Oder einfach nur besonders effiziente Entwicklungshilfe? Mit kandider Unschuld behauptet das Mary Kilgour, die Direktorin des USAID- Büros (US-Agency for International Development) in Monrovia: „Sie haben uns um Hilfe ersucht, und indem wir sie ihnen gewähren, gewinnen sie im Gegenteil Souveränität über ihre staatliche Finanzverwaltung.“ Was Libe rias Finanzminister John Bestman zürnend bestätigt, sobald man nur zu verstehen gibt, die amerikanische Hand auf der Staatsschatulle sei fremder Eingriff in die nationalen Hoheitsrechte: „Ich kümmere mich einen feuchten Dreck darum, wie wir endlich Ordnung in unsere Finanzwirtschaft bekommen. Hauptsache, alle Liberianer gehen abends mit vollem Bauch zu Bett.“ Mit anderen Worten: Die US-Experten in Liberia erfüllen eine „Mission“, die sich amerikanischem Altruismus und der brennenden Sorge besonders verantwortungsbewußter Politiker verdankt...

Die ausländischen Hüter der Staatskasse sind mittlerweile vollzählig im Land. Man hat ihre Ankunft über Wochen verteilt, um daraus kein „Medienereignis“ zu machen. Aber die wirklichen Ereignisse finden auch eher hinter verschlossenen Türen statt, wie beispielsweise – im vergangenen Dezember – der erste Krisenrat in der Zentralbank. Der soeben angekommene US-Experte hatte sogleich die Führungskräfte versammelt, um im besten Yankee go getem spirit das Management zu checken: „Also, Jungs, wo drückt der Schuh ?“ – Die grausam direkte Frage stieß freilich auf verschlossene Gesichter: Trotz gelegentlicher mangelhafter Bildung mangelt es afrikanischen Bankiers nicht an Einbildung, und der Kollege aus Amerika hat noch oft seine Silberstahlbrille auf- und absetzen müssen, bis endlich das betretene Schweigen gebrochen wurde. Was dann zum Vorschein kam, hatte mit den Geheimnissen des Bankierwesens allerdings auch nichts zu tun, sondern war eher ein Propädeutikum afrikanischer Familiensoziologie: „Wir kommen hier einfach nie dazu, in Ruhe zu arbeiten. Ständig tanzen Verwandte an, die keinen Job haben, und denen wir einen verschaffen oder zumindest aushelfen sollen“ – das übliche Klagelied des „reichen Bruders“, der sich in zarten und weniger zarten Familienbanden allmählich verstrickt... Wogegen freilich atavistischer Pragmatismus made in USA durchaus hilfreich sein kann: Fortan gibt es in Liberias Zentralbank zwei „Besuchstage“ – und den Rest der Woche wird gearbeitet.

Doe-Dollars

Arbeit gibt es für Einheimische und ihre neuernannten Zuchtmeister reichlich, wenn es darum gehen soll, Korruption und Schwarzmarktgeschäfte auszurotten. Abgesehen vom Doe-Regime leidet Liberia am chronisch depressiven Weltmarktpreis für Eisenerz, das wichtigste Ausfuhrprodukt des Landes. Auch der seit kurzem wieder etwas angezogene Naturgummipreis hat das nicht wettmachen können. Die angehäufte Auslandsschuld beläuft sich mittlerweile auf 1,4 Milliarden Dollar und wächst alljährlich um weitere 400 Millionen. Zwar werden die Staatsangestellten inzwischen nurmehr mit zwei- bis dreimonatiger Verspätung besoldet, während sie zuvor oft mehr als sechs Monate auf ihr Gehalt warten mußten, aber diese relative Verbesserung ist teuer erkauft: Die Nationalwährung wird allmählich zum Spielgeld. Was insofern paradox ist, als in Liberia der US-Dollar Zahlungsmittel ist... Aber findigerweise prägt die einheimische Regierung Fünf-Dollar-Münzen, die inzwischen den Geldmarkt überschwemmt haben und vom Volksmund verächtlich als „Doe-Dollar“ bezeichnet werden: Auf dem Schwarzmarkt tauscht er sich gegen die rar gewordenen grünen Geldscheine zum halben Preis.

„Ich muß wirklich lachen, wenn die Amerikaner erzählen, sie gäben uns mit ihren Experten eine letzte Chance“, erklärt mit bitterem Unterton Clifford Flemister, ein unabhängiger Wirtschaftsexperte in Monrovia, dem seine afro-amerikanische Familiengeschichte ins Gesicht geschrieben steht. Mit der kulturellen Überheblichkeit des gestürzten Establishments richtet er die „Marionette Samuel Doe“: Für ihn ist er schlicht „ein Underling, den die Amerikaner seit fast acht Jahren an der Macht halten. Er hat mit ihrer Hilfe unser Land ruiniert – und es ist schamlos, uns heute mit moralisierenden Anti-Korruptions-Kampagnen zu kommen.“ Die Frage ist, ob es wirklich darum geht, den liberianischen Augiasstall auszumisten. Für die amerikanische „Schutzmacht“ stehen andere Interessen auf dem Spiel als sein Ruf als weltpolitischer Saubermann.

Die US-Präsenz und ihr Preis

Warum also gibt die amerikanische Regierung 20 Millionen Dollar dafür aus, daß US-Experten die Finanzverwaltung eines Landes kontrollieren sollen, in dem der Präsident nach Belieben in die Staatskasse greift? Die einfache Antwort: Um Zeit zu gewinnen. Denn Liberia ist ein kostspieliger, aber auch nützlicher Verbündeter. Ganz abgesehen von den Privatinvestitionen etwa eines Großkonzerns wie Firestone, der auf seiner 400.000 Hektar großen Gummiplantage mehr als 11.000 Afrikaner beschäftigt, dient Liberia als Stützpunkt: Für eine der acht Omega-Tuerme, die Amerikas weltweite Militärkommunikationen übermitteln und unter anderem die nuklearen U-Boote dirigieren; für die CIA, die in Monrovia ein Regionalbüro hat; für einen Sender, der alle diplomatischen Botschaften südlich der Saharawüste übermittelt; für eine Relaisstation der Voice of America; und zu guter Letzt ein Stützpunkt auch für die amerikanische Rapid Deployment Force, die auf dem Robertsfield-Flughafen nahe der liberianischen Hauptstadt mit nur 24-stündiger Vorwarnung landen darf. Ein Privileg, das Washington um so besser zu schätzen weiß, seitdem die Europäer beim Vergeltungsschlag auf Libyen und „Strafaktionen“ gegen Iran pingelig auf ihre Hoheitsrechte pochten und Zwischenlandungsrechte verweigert haben.

Für die Weltmacht Amerika ist Liberia gleichwohl nicht von strategischer Bedeutung. Aber die bislang eingeräumten facilities rechtfertigen, was ein amerikanischer Diplomat in Monrovia als „gewisse Opportunitätskosten“ bezeichnet hat. Zwei Jahre lang werden die 17 Experten somit Ordnung schaffen – auch wenn der Versuch scheitern sollte, ist das immer noch ein Zeitgewinn für die amerikanische Präsenz. Und dann soll im Jahre 1991 in Liberia ja auch ein neuer Präsident gewählt werden... mit Hilfe der Experten wird man in Washington Bilanz ziehen können: Entweder sieht man – wie bei den letzten, von Doe manipulierten Wahlen – über die Fälschungen hinweg, weil der installierte Diktator noch immer die einfachste Lösung ist. Oder man kann im hehren Namen demokratischer Prinzipien eine Ersatzlösung in Szene setzen. Amerikas Stern über Liberia geht noch lange nicht unter...