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Flexibilisierung wird bei Stihl voll ausgeschöpft

„Beispielgebende“ Betriebsvereinbarung bei Firma des Südwest-Arbeitgeberchefs  ■ Von Martin Kempe

Der Vorsitzende des baden-württembergischen Metallarbeitgeber-Verbandes, Hans Peter Stihl, ist wieder einmal vorgeprescht. Diesmal nicht im Tarifpoker mit der IG Metall im traditionsreichen Arbeitskampfbezirk Nordwürttemberg/Nordbaden, sondern in seinem eigenen Betrieb. Als erster größerer Metallbetrieb hat der Waiblinger Sägenhersteller mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die ab 1.4.88 geltende Durchschnittsarbeitszeit von 37,5 Stunden pro Woche abgeschlossen. Und wie es sich für einen Arbeitgeberfunktionär und zukünftigen Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) gehört, mißt er der Regelung in „seinem“ Betrieb eine beispielgebende Bedeutung zu: Der tarifvertraglich zulässige Rahmen für die Flexibilisierung und Differenzierung der Arbeitszeiten sei im Interesse von Unternehmen und Mitarbeitern optimal ausgeschöpft worden.

Den Rahmen für die Betriebsvereinbarungen, die bis zum Frühjahr in allen deutschen Metallbetrieben abgeschlossen werden müssen, bildet der Tarifkompromiß zwischen IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall vom April 1987, wonach ab 1.4.88 die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von jetzt 38,5 auf 37,5 und ab 1.4.89 um eine weitere halbe Stunde auf 37 Stunden gesenkt werden soll. Die Arbeitgeber hatten sich 1987 wie schon beim Tarifkompromiß 1984 die weitere Verkürzung der Wochenarbeitszeit durch größere Möglichkeiten zur Differenzierung und Flexibilisierung der Arbeitszeiten abkaufen lassen.

Die meisten Beschäftigten des Waiblinger Unternehmens, rund 1.800 von 2.500, werden in Zukunft nur noch 37 Stunden arbeiten, also eine halbe Stunde weniger als die tarifliche Durchschnittsarbeitszeit. Eine kleine Gruppe von Führungskräften, deren Verdienst um 37,5 Prozent oder mehr über dem höchsten Tarifgehalt liegt, wurde durch den 87er Kompromiß von den Arbeitszeitregelungen des Tarifvertrags ausgespart, muß also, wenn es der Unternehmer will, weiterhin 40 Stunden arbeiten. Dies sind bei Stihl etwa 40 Angestellte. Rund 300 Angestellte werden ab 1.4.88 39 Wochenstunden arbeiten, weitere 400 kommen in den Genuß von 1,5 Stunden weniger Arbeit und müssen in Zukunft 38,5 Stunden arbeiten. Damit kommen bei Stihl, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nun auch die Angestellten in den Genuß der Arbeitszeitverkürzung, wenn auch nicht im selben Umfang wie die Arbeiter. Ab 1.4.89 wird dann lauf Betriebsvereinbarung die Arbeitszeit für die Produktionsarbeiter auf wöchentlich 36,5 Stunden gesenkt, während die rund 700 Angestellten einheitlich 38,5 Stunden schaffen müssen.

Wichtiger für die Ausgestaltung der Arbeitszeiten ist nicht die Differenzierung zwischen verschiedenen Beschäftigungsgruppen, sondern die bei Stihl vereinbarte Regelung zur flexiblen Verteilung der individuellen Arbeitszeit. Denn trotz der Verkürzung der Arbeitszeit wird in den mei sten Betrieben weiterhin 40 Stunden pro Woche produziert. Die überzähligen Arbeitsstunden müssen „ausgeglichen“ werden, in der Regel durch turnusmäßige Freischichten. Während die bisher geltende Tarifregelung einen Ausgleich innerhalb von zwei Monaten zwingend vorschrieb, also ein „Ansammeln“ von mehreren Freischichten zu einem Kurzurlaub verhinderte, gelten ab 1.4. erweiterte Flexibilierungsspielräume: Der Ausgleichszeitraum wurde auf ein halbes Jahr erweitert, die Höchstzahl der zusammenhängenden Freischichten auf fünf Tage begrenzt. Wer also bei einer individuellen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 37 Stunden weiterhin an fünf Wochentagen acht Stunden arbeitet, sammelt pro Woche 3 Stunden „Zeitguthaben“ an, die zu Freischichten bzw. Freizeitblöcken zusammengefaßt werden können.

In der Betriebsvereinbarung von Stihl wurde nun festgelegt, daß rund ein Drittel des angesammelten Zeitguthabens einvernehmlich mit dem Betriebsrat nach betrieblichen Erfordernissen festgelegt werden kann, etwa auf Brückentage zwischen Feiertagen. Die übrige disponible Ausgleichszeit können die Beschäftigten nach Absprache mit ihren Vorgesetzten entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen in Anspruch nehmen: Während die einen etwa regelmäßig einen freien Tag bevorzugen, wollen andere mit Hilfe der zusätzlichen Freizeit ihren Urlaub um ein paar Tage (höchstens fünf) verlängern. Diese Regelung, so Stihl-Betriebsrat Georg Weimann, ent spreche den Interessen der Beschäftigten ebenso wie die in der Betriebsvereinbarung ausgeweiteten Möglichkeiten der Gleitzeit. Von einer im Arbeitgebersinn beispielhaften Regelung will er nichts wissen. Auch bei Stihl gehe es um nichts anderes, als die tariflichen Rahmenbestimmungen auf die besonderen Interessen im Betrieb anzuwenden. Das Anliegen der IG Metall, die durch den Tarifvertrag ermöglichten unterschiedlichen Arbeitszeiten für verschiedene Beschäftigungsgruppen in den Betriebsvereinbarungen soweit wie möglich einzudämmen, ist im Waiblinger Stihl- Unternehmen nicht zum Zuge gekommen.

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