Lübecks überaus ziviler Widerstand

■ Atommüll: Senat ließ sich beim „rechtswidrigen Ungehorsam“ von Verbot aus Kiel bremsen

Kiel (taz) – Der von Christ- und Sozialdemokraten gebildete Senat der Stadt Lübeck versuchte sich am Dienstag in seinem Kampf gegen die Atommülltransporte in „rechtswidrigem“ Ungehorsam – allerdings nur bis zum umgehenden Verbot der Kieler Regierung. Am Dienstag vormittag hatte die Stadtregierung sich durch zwei Niederlagen vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig und dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg noch wenig beeindruckt gezeigt: Die Richter hatten die Transporte von Atommüll zum Lübecker Hafen ausdrücklich gebilligt. In einer zweistündigen Sondersitzung am Dienstag vormittag beschloß der Senat mehrheitlich, die Urteile mit sogenannten „Untersagungsverfügungen“ zu kippen. Begründung: „Gewissensnotstand“ und eine besondere Situation, „in der man Ungehorsam üben muß“.

Man müsse Ungehorsam üben, „auch wenn das Verhalten des Senats rechtswidrig ist“, so Bürgermeisterin Sabine Bauer und Innensenator Hilpert (beide SPD) zu den Untersagungsverfügungen aus dem Rathaus. Kaum ausgesprochen, wurden sie durch eine Anordnung von Verkehrsminister Roger Asmussen (CDU) aufgehoben. Der berief sich auf das Landesverwaltungsgesetz, wonach die Landesregierung städtische Beschlüsse, die sie für rechtswidrig hält, durch eigene, juristisch höherrangige Weisungen ersetzen kann. Einen rechtlichen Zwang, die Lübecker Weigerungen zu durchbrechen, nannte der Verkehrsminister nicht als Begründung; ihm genügte der politische Wille zur Atomwirtschaft.

Kaum hatte gestern die „Sigyn“ den Lübecker Hafen in Richtung Schweden verlassen, drohte Innenminister Claussen dem Lübecker Senat disziplinarische Konsequenzen an für dessen letztlich erfolglose Versuche, die Atommülltransporte zu stoppen.

Zum Gegenschlag holte umgehend die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) aus. Deren Landesvorsitzender Wolfgang Neskovic warf dem Lübecker CDU-Bürgermeister Robert Knüppel vor, keine Zivilklage eingereicht zu haben. Die wäre erfolgsversprechender gewesen als der Gang zu den Verwaltungsgerichten, denn wegen der umfassenden Prüfkompetenz der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt für Atomtransporte habe das öffentliche Recht von vornherein wenig Erfolg versprochen. Der Lübecker Hafengesellschaft, deren Aufsichtsratsvorsitzender Knüppel ist, hätte vermutlich ein zivilrechtliches Leistungsverweigerungsrecht gehabt, meinte der SPD-Jurist. Jörg Feldner