Der Südwesten koppelt sich ab

Investitionspolitik: Baden-Württemberg erhöht Neuverschuldung / Ende schwäbischer Sparsamkeit / Flaggschiffe des Musterlandes steuern in die Binsen / Noch mehr Investoren werden ins Ländle gelockt / Für die SPD ist alles zuviel und zuwenig  ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier

Die Arbeitslosigkeit in der Republik nimmt weiter zu, die Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit nehmen ab. Der Mittelstand klagt über finanz- und steuerpolitische Prinzipienlosigkeit der Bundesregierung. Die Steuerreform soll Erleichterungen schaffen, und mit einer Erhöhung von Verbrauchssteuern sol wieder abgezockt werden. „Gespannte Ruhe an den Finanzmärkten“, der Dollar fällt und fällt und steigt ebenso beliebig wie die internationalen Börsenkurse. Tohuwabohu, würde man im Schwabenland sagen, und dazu ein Bundesfinanzminister, dessen nordische Drögheit nur noch seine fachliche Inkompetenz übertrifft. Der konjunkturelle Zyklus, so der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth am vergangenen Dienstag, flache ab, wie üblich nach vier Jahren.

Nur die regierenden Bonner Christ- und Freidemokraten scheinen diese schlichte konjunkturelle Binsenweisheit noch nicht zu kennen. Raus aus den Steuern, rein in die Steuern, und derweil fließen die Milliardenüberschüsse der Bundesbank ins nimmersatte Dollarloch, füttern Wirtschaft und Industrie mit ihren Superüberschüssen lieber den Sparstrumpf als ihre Betriebe mit Investitionen. Nach wie vor hält man Investitionen in ein Beschäftigungsprogramm zur Stärkung der Binnennachfrage und Kompensation von Exporteinbrüchen für eine gesellschaftsverändernde Idee sozialistischer Teufel.

Derweil beginnen sogar die Flaggschiffe baden-württembergischer Überheblichkeit in die Binsen zu gehen. Bei Siemens, Audi/NSU und Porsche wird seit Beginn dieser Woche kurzgearbeitet, Daimler-Benz beginnt seine jahrelangen Sonderschichten zurückzufahren, über den Elektroriesen Bosch wird ähnlich gemunkelt.

Zum Glück stehen am 20. März die baden-württembergischen Landtagswahlen ins Haus, zum Aussitzen ist es hier zu spät. Wenns ums Geld geht, meinte der SPD-Spitzenkandidat Dieter Spöri am vergangenen Wochenende, lassen sich die Baden-Württemberger doch nicht für dumm verkaufen. Lothar Späth hatte es immer mit der Fabel vom Hasen und Igel gehalten, er spitzte die Ohren und reagierte.

Zwar scheut er sich noch, von einer konjunkturellen Krise, oder gar Rezession zu sprechen, der Notgroschen des Landes aber wird lockergemacht. Sämtliche Investitionsmittel und Verpflichtungsermächtigungen des laufenden Haushalts, 1,3 Milliarden immerhin, werden freigegeben, und zwar sofort. Ein „kräftiger Anstoß zur Stärkung der Binneninvestitionen“. Alle Wirtschaftsprognosen, so Späth, seien mittlerweile deutlich nach unten korrigiert. Er, Lothar Späth, habe das ja geahnt, und schwäbisch gespart in den fetten vergangenen Jahren – jetzt blitzt es aus dem Portefeuille. Mit öffentlichen Investitionen in die Forschung, die Verbesserung der Informations- und Kommunikationsstruktur, in Umweltschutz, „ländlichen Raum“, zur Stadtentwicklung und Dorfsanierung soll nicht mehr gekleckert, sondern geklotzt werden.

Ob das freilich auch private Investoren verführt, die Türen der prallen Safes zu öffnen, in Baumaßnahmen, Forschung und Entwicklung, in Strukturveränderungen und Umstellungen von Produktionen zu investieren, bleibt erstmal dahingestellt. Wirtschaftsmanager und Banker schmollen vorläufig lieber und halten sich für verunsichert. Ein Effekt ist aber dem Späthschen Alleingang schon jetzt gesichert: Investieren nämlich Land und Gemeinden, so gibt der Bund noch was drauf. Das Zinsverbilligungsprogramm des Bundes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau kann in Anspruch genommen werden.

Billiges Geld, insgesamt 300 Millionen, für mittelständische Investitionen, insbesondere zur Energieeinsparung und für umweltschonende Produktionsverfahren, gibts von der Landeskreditbank. Und Mittelständler, denen wegen überdurchschnittlicher Exporte in Märkte des sinkenden Dollars jetzt der Kittel brennt, wenden sich am besten auch gleich dorthin. 150 Millionen warten! Reicht das alles nicht, dann wird eben aufgestockt, im Krankenhausbau, zur Verbesserung der Infrastruktur der Landesverwaltung, und zur Emissionsminderung bei Kohlekraftwerken zum Beispiel.

Alles in allem, so Späth am vergangenen Dienstag, läge man nach solch investitionsfördernder Neuverschuldung immer noch um sieben Milliarden unter dem durchschnittlichen Schuldenberg der restlichen Bundesländer.

Ein Akt schwäbischer Solidarität, vor allem gegenüber strukturschwachen Landstrichen und Bundesländern wie Nordrhein- Westfalen, denen der Zwang zu umfassenden strukturellen Veränderungen wie das Wasser am Hals steht, ist das Konjunkturprogramm sicher nicht. Im Gegenteil, investitionsfördernde Maßnahmen in Baden-Württemberg zusammen mit den ohnehin schon bestehenden strukturellen Standortvorteilen werden auch noch den Rest privater Investoren dieser Republik ins Ländle locken. Konsumieren sollen dann wohl die, die schon heute den Pfennig dreimal umdrehen.

Über eine Erhöhung von Verbrauchssteuern, übrigens, will Lothar Späth erst im Mai, nach der Landtagswahl, verhandeln. Und auch die Sozialdemokraten des Landes könnten sich allmählich einig werden. Letzten Meldungen zufolge geht der SPD Späths Investitionsprogramm lange nicht weit genug, bei der Haushaltsdebatte im vergangenen Jahr sprach man noch von katastrophaler Neuverschuldung.