Die Fäden von Mol nach Pakistan und Libyen

■ Wir dokumentieren auszugsweise einen Artikel aus der belgischen Wochenzeitschrift Le Vif-LExpress / Um lukrative atomare Geschäfte machen zu können, hat das belgische Kernforschungszentrum CEN Know-how an pakistanische Nukleartechniker geliefert

Pakistan, der 23. März 1986. War es möglich, daß Severin Amelinckx, Generaldirektor des Forschungszentrums für Kernenergie (CEN) in Mol, nicht wußte, in welches Wespennest er kam, als er in Islamabad landete?

USA, 5. November 1986. Der Journalist der Washington Post, Bob Woodward, zitiert einen Bericht der CIA über die „dramatischen Fortschritte“ Pakistans bei der Produktion der Atombombe.

Belgien, 17. April 1987. Martin Brabers, Professor für Metallurgie, dementiert formell die brandheißen Erklärungen der britischen Wochenzeitung The Observer. Brabers ist jedoch in Pakistan kein Unbekannter. Ende der sechziger Jahre hatte er in Belgien den Dr. Abdul Quadeer Khan ausgebildet. Dieser Ingenieur für Metallurgie, Jahrgang 1936, arbeitet von 1972 bis 1975 in einer niederländischen Firma, die dem Konsortium Urenco angeschlossen ist, das zu jener Zeit die Urananreicherungsanlage für Ultrazentrifugierung im niederländischen Almelo baut. Khan beschafft sich dort sehr vertrauliche Daten über den Anreicherungsprozeß. Er nimmt sie mit nach Pakistan, wo er heute offenbar das militärische Atomprogramm leitet. Brabers, der im Kernzentrum von Mol gearbeitet hatte, wird im November 1986 von der Universität Islamabad eingeladen. Dem Observer zufolge trifft er dort seinen ehemaligen Schüler, der ihm erlaubt, die hochgeheimen Anlagen in Kahuta zu besichtigen, wo zweifelsohne die pakistanisch-libysche Atombombe gebaut wird. Brabers versichert – dem Observer zufolge – am Ende dieses Besuchs, daß Pakistan mittlerweile in der Lage ist, innerhalb eines Monats die Bombe herzustellen.

Ende der sechziger Jahre liefert Kanada die Grundausrüstung für das Atomprogramm Pakistans: einen Schwerwasser- und Natururanreaktor, der in der Nähe von Karachi gebaut wird (Kanupp). Die Reaktoren von Kanupp wandeln natürliches Uran in Plutonium um. Ab 1973 liefert Frankreich eine kleine Pilotfirma zur Wiederaufbereitung. Dank dem gewitzten Abdul Qadeer Khan läßt Bhutto das Projekt Kahuta bauen, eine Fabrik zur Herstellung von Uran-235. Mit den von den Holländern geklauten Plänen, erklärt Astrid Valois-Verone in der Zeitschrift Politique Internationale, „erarbeiten die pakistanischen Ingenieure Einzelangaben für analoge Materialien, die in der klassichen Chemie- oder Elek tro in du strie verwendet werden und somit ohne Einschränkungen verkauft werden.“

In Gembloux erklärt am 17. November 1986 Dr. Rene Constant, Generaldirektor des Instituts für Radioelemente, vor einem Kreis von versteinerten Gästen: „Belgien ist bei diesem crazy game keineswegs abwesend!“ Einige Monate zuvor war der Chef des Kernforschungszentrums in Mol, Severin Amelinckx, in Begleitung seines Vizedirektors Paul Dejonghe in Pakistan eingetroffen. Zweck der Reise: Gespräche über Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen dem CEN und der Pakistan Atomic Energy Commission (Pacc). Der Empfang in Islamabad ist im übrigen so herzlich und effizient, daß (laut Arbeitsbericht) „ein Abkommen zwischen den beiden Parteien abgeschlossen wird: Das Zentrum in Mol wird pakistanische Praktikanten aufnehmen.

Für Dr. Constant, Manager des CEN, „handelt es sich zwar auf dem Papier um zivile Programme, wir wissen jedoch, wie stark sich die Technologien gegenseitig überschneiden und in der Realität nicht auseinanderzuhalten sind“. Unseren Informationen zufolge sind mehrere der Personen, die Amelinckx und Dejonghe in Islamabad trafen, direkt in die pakistanisch-libyschen militärischen Programme verwickelt. Dies gilt z.B. für Ishfaq Ahmad, einen hohen Veranwortlichen der Gruppe „Waffen“, und für A. Majid, den technischen Direktor des Projekts für die Plutoniumabtrennung für militärische Zwecke. Am 10. November 1986 bestätigte die Pakistanische Atomenergiekommission in einem Brief an das CEN das Interesse Pakistans an den Vorschlägen des CEN für „die Konzeption, die Entwicklung und die Lieferung eines neuen Instrumen tariums, um das veraltete im AKW Kanupp bei Karachi zu ersetzen“. In diesem Brief schlägt die Pacc vor, daß zwei Experten vom CEN für zwei Wochen nach Karachi kommen sollen.

Einen Monat nach dem Besuch von Amelinckx und Dejonghe erhält der Direktor der Belgonucleaire (eine Gesellschaft, in der der CEN zu 50 Prozent vertreten ist) ein Schreiben vom Pakistan Institute of Nuclear Science and Technologiy (Pinstech). „Ermutigt durch den eben erfolgten Besuch des Generaldirektors von Mol“ bittet darin der Direktor dieses Instituts, Dr. H.M.A. Karim, die Belgonucleaire, auf dem Gebiet der Produktion von Radioisotopen ein Angebot zu machen.

In jüngerer Vergangenheit hatte das Zentrum von Mol Experten zu Ghaddafi nach Libyen geschickt. Es hat auch libysche und iranische Praktikanten aufgenommen. Luc Gillon, Manager bei dem CEN, hatte dagegen heftig protestiert. „Das lag zum großen Teil am Einfluß der Belgonucleaire, die mit allen Mitteln Geschäfte machen will.“ Die belgische Firma ist hat auch in Pakistan die Finger im Spiel. Am 31. Januar 1987 traf Herman de Croo, belgischer Außenhandelsminister, in Begleitung mehrerer Delegierter einiger Gesellschaften in Pakistan ein. Darunter waren der unvermeidliche Waffenhändler Asco und ... Belgatom (80 Prozent Tractebel und 20 Prozent Belgonucleaire). Das Ziel der letzteren: einen Vertrag über den Wiederaufbau des Reaktors Kanupp abschließen.

Die Version von Amelinckx über die Verbindungen zwischen dem CEN und Pakistan ist erbaulich: „Ich habe keinen Grund, irgend etwas zu verbergen“, sagt er. „Seit 1963 haben wir einen Kooperationsvertrag mit Pakistan. In diesem Bereich ist der Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen unweigerlich mit der Ausbildung von Praktikanten verbunden. Und wir sind der Ansicht, daß es die Aufgabe, ja sogar die Pflicht des CEN ist, für unsere Industrie Beziehungen aufzubauen.“ Die Akte über die pakistanischen Praktikanten von Mol befindet sich zur Zeit in Händen der Verantwortlichen vom Amt für atomare Sicherheit, das dem Justizministerium angegliedert ist. Bislang hat dieses Amt noch keine offiziellen Nachforschungen über den Auftrag des CEN in Pakistan durchführen müssen. Michel Balthasart