: Bombenstimmung in Hanau
■ NUKEM, die Spinne im Netz der bundesdeutschen Atommafia, vor dem endgültigen AUS?
Die Stimmung in Hanau ist gereizt. Während Kommunalpolitiker und Bürger der hessischen Atomstadt nun endgültig die Nase voll haben, fühlen sich die Mitarbeiter der Atomfirmen durch die Öffentlichkeit denunziert. Tenor im Betrieb: Wir machen weiter. Schulter an Schulter mit NUKEM steht die Internationale Atomkontroll-Behörde in Wien.
„Das ist eine Schweinerei hoch drei“, antwortet der junge Mann auf die Frage nach seiner Meinung zu den jüngsten Enthüllungen im Atommüll-Skandal. Der neben ihm stehende ältere Kollege pflichtet bei: „Und jetzt wollen sie alle schon immer dagegen gewesen sein.“ Die beiden gehörten zu jener kleinen Polizeitruppe, die der Hanauer Landrat gestern morgen vor die Tore von NUKEM und RBU beordert hat, um „Gefahrgutkontrollen der ausgehenden Transporte durchzuführen“, wie der Einsatzleiter vor Ort erklärte. Man wolle verhindern, daß in letzter Minute etwa noch radioaktives Material oder belastende Unterlagen beiseite geschafft werden. Die Kontrollen fallen freilich recht oberflächlich aus – ein tiefer Blick auf die Ladefläche genügt den Beamten.
Doch hier geht es weniger um das Nachholen der seit Jahr und Tag sträflich versäumten Atomaufsicht als um eine politisch-atmosphärische Demonstration: Die Polizisten fühlen sich trotz Kälte sichtlich wohl in ihrer Rolle. Auf die Frage, warum keine PKW kontrolliert werden, antwortet der Einsatzleiter in aufgeräumter Stimmung: „Wir gehen davon aus, daß keine abgebrannten Brennstäbe im Kofferraum mitgeführt werden.“ Mit erhobener Kelle trotzen die uniformierten Gesetzeshüter der Atommafia. Empörung und Verbitterung haben die neuesten Entwicklungen bei Hanaus Oberbürgermeister Hans Martin (SPD) ausgelöst. „Das Faß ist voll“, erklärte das Stadtoberhaupt am Freitag in einem dpa-Gespräch. Die Stadt habe in der Vergangenheit viel Geduld für die Atomfirmen aufgebracht; die allerneuesten Vorkommnisse aber seien eine „ganz, ganz schlimme Sache“.
Er, Martin, sei ernsthaft um die Gesundheit der Hanauer Bevölkerung besorgt.Gleichzeitig forderte der Sozialdemokrat die Nuklearbetriebe zu einem „geordneten Ausstieg“ aus der Atom-Produktion auf. Wegen der brisanten Stoffe, mit denen dort gearbeitet werde, und angesichts der Unzuverlässigkeit der Geschäftsführung sei nur auf diese Weise der Schutz der Bevölkerung gesichert.
Der Protest des OB wird auch von anderen kommunalpolitikern geteilt.Selbst Vizelandrat Pieper läßt sich gegen Mittag zum Zwecke der Kontrollaufsicht im leicht zerknitterten Sakko blicken und genießt sichtlich die neuartige Szenerie. Ein Hauch von Triumpf ist spürbar.
Die konsternierten Gesichter der LKW-Fahrer legen ein beredtes Zeugnis ab von der historischen Stunde. Auch die ein- und ausfahrenden Herren am Steuer ihrer Daimler scheinen die Welt nicht mehr zu verstehen.
Außer den Polizeibeamten müssen sie noch ein halbes Dutzend in- und ausländischer Kame rateams, Bildreporter und Journalisten passieren, die auf Äußerungen von NUKEM-Angestellten lauern.
Doch die lassen sich auf dem Weg zur nahen „Degussa“-Kantine auch von professionellen Reporter-Tacklings nicht aufhalten. Kein Wort kommt ihnen über die Lippen. Schließlich hat ein Fernsehkollege doch einen Kantinen- Rückkehrer zum Stehenbleiben bewegen können. „Es muß weitergehen. Wir stehen mit gutem Gewissen da. Wir lassen uns nicht lynchen.“ An den öffentlichen Vorwürfen gegen NUKEM/ Transnuklear sei überhaupt nichts dran. Die von Ministerpräsident Wallmann zum Rücktritt aufgeforderten Geschäftsführer hätten sich absolut nichts vorzuwerfen: „Das ist alles Sensationsjournalismus!“
Die Stimmung unter den Mitarbeitern von NUKEM: Wir machen weiter. Die allgemeine Einschätzung der Vorgänge in den letzten Tagen: „Die Deutschen sind verrückt geworden. Sie haben einen Hang zur Selbstzerstörung. Das ist wie 1933.“ Währenddessen durchsuchen drinnen Staatsanwälte die NUKEM-Geschäftsräume. Reinhard Mohr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen