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Keine Überraschung Robert Jungk zum Atomskandal

taz: Seit Jahren haben Sie vor dem militärischen Mißbrauch der friedlich genutzten Atomenergie gewarnt. Was sagen Sie zu der Möglichkeit, daß die Bundesrepublik atomwaffenfähiges Material verschoben hat?

Jungk: Für mich ist das gar nicht so überraschend. Erstens steckt da ein riesiges Geschäft drin. Zweitens scheint mir, daß in der bisherigen Diskussion übersehen wird, daß man dieses atomwaffenfähige Material ja nicht unbedingt nur nach Libyen und nach Pakistan liefern will, sondern unter Umständen auch für eigene Zwecke verwenden könnte. Man muß doch an die oft wiederholten Vorstellungen von Herrn Strauß oder Herrn Todenhöfer denken, die immer wieder von der deutschen nuklearen Option gesprochen haben. Es gibt übrigens einen Indizienbeweis dafür, daß die Bundesrepublik mittelfristig die nukleare Option wahrnehmen will. Wir haben bisher nur Indizien.

Mit anderen Worten: Sie gehen durchaus auch von der Möglichkeit aus, daß solches atomwaffenfähige Material für die Bundesrepublik beiseite geschafft wurde?

Daß es hier geblieben ist, man zumindestens so etwas plant. Es gibt bei Kiel, das Institut Stoh, das sich seit Jahren mit der Frage der Atomrüstung beschäftigt. Das ist einfach vorhanden, das ist da. Verstehen Sie, ich habe das Gefühl, wenn man jetzt immerzu von Libyen spricht oder von Pakistan, daß man von der wirklichen Tatfährte, von dem wirklich geplanten Verbrechen, ablenkt. Es gibt ja die Initiative der Grünen, ins Grundgesetz den Verzicht auf Atomwaffen hineinzuschreiben. Bisher hat man das lächerlich gemacht. Ich hab dafür ein ganz konkretes Datum vorgeschlagen, den 50. Tag der Wiederkehr des Beginns des Zweiten Weltkrieges. Das wäre am 1. September 1989.

Wenn sich der Verdacht der Proliferation bestätigt, hat die Diskussion um die Atomenergie eine neue historische Dimension erreicht. Welche Folgen hätte dies? Könnten Sie sich vorstellen, daß das zumindest für die BRD das Ende der Atomenergie bedeutet?

Das wäre vielleicht so, wenn die Atom-Industrie, gerade die Plutonium-Industrie nicht inzwischen so international wäre, daß die deutschen Manager sagen können, das hat ja gar keinen Sinn, wenn wir uns dort ausklinken, wenn inzwischen der internationale Plutonium-Handel weitergeht. D. h. einerseits ist es ein internationales Problem, das auch international angegangen werden muß und ich meine, die Rolle die die BRD spielen könnte, wenn sie aussteigen würden, wäre eine exemplarische Rolle. Ich frage mich, ob sie dazu im Stande ist. Kein anderes Land hat so sehr die Verpflichtung dazu wie die Deutschen, die so viel Schuld auf sich geladen haben. Aber man wird dieser Verpflichtung natürlich nicht nachkommen. Interview: mtm