Urangate läßt die Republik erbeben

NUKEM: Verdacht der Lieferung von Bombenmaterial nach Pakistan und Libyen hat sich verstärkt  ■ Von Kriener/Klingelschmitt

Berlin/Frankfurt (taz) – Der „ungeheuerliche Verdacht“ (Wallmann), daß atomwaffentaugliches Material der Hanauer Firma NUKEM nach Libyen und Pakistan geliefert worden ist, hat sich gestern verdichtet. Bundesumweltminister Töpfer, die hessische Landesregierung und der Chefermittler der Hanauer Staatsanwaltschaft Farwick bestätigten Ermittlungen „in diese Richtung“. Die NUKEM-Tochter Transnuklear soll das spaltbare Material aus dem Atomzentrum Mol nach Lübeck gebracht haben, wo es dann nach Libyen und Pakistan verschifft wurde. Darüber hinaus wurde bekannt und offiziell bestätigt, daß Transnuklear Genehmigungen für den Transport „radioaktiver Stoffe“ nach Lahore in Pakistan besaß. Unter der Genehmigungsnummer C 328-331 durfte das Skandal-Unternehmen bis 31.Januar 1989 Transporte in unbegrenzter Anzahl per Lkw, Flugzeug, Bahn und Schiff durchführen. Von dem für die Ausfuhr-Genehmigung zuständigen Bundesamt für Wirtschaft wurden die exportierten Stoffe als „Kleinstmengen für den medizinischen Bereich“ bezeichnet.

Bei der gestrigen Durchsuchung der NUKEM-Geschäftsräume durch die Kriminalpolizei sollen nach Angaben des SPD- Umweltsprechers Hauff Beweise für einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag gefunden worden sein. Hauff berief sich auf einen sicheren Informanten. Eine Bestätigung lag bis Redaktionsschluß nicht vor.

Der Direktor des Atomzentrums in Mol, Dejonge, sprach gestern von bereits mehrjährigen Kontakten nach Libyen und Pakistan. Mol unterhalte seit 1982 Beziehungen zu beiden Ländern. Die Zusammenarbeit betreffe aber „nur unsensible Bereiche“. 1986 waren Mitarbeiter des Atomzentrums nach Pakistan ge reist. Der Gießener Anzeiger berichtete am Freitag von Abzweigungen bei Atomgeschäften mit der UdSSR. Bei zahlreichen Lieferungen von Transport-Zylindern, die über Schweden abgewickelt wurden, habe es Differenzen gegeben. Die schwedische Firma Asea Atom habe andere Gewichte ermittelt, als von Transnuklear angegeben.

Belgiens Grünen-Partei Agalev liegen „konkrete Hinweise“ vor, daß von Lübeck aus auf finnischen Schiffen spaltbares Material nach Pakistan gegangen sei. Transnuklear habe angeliefert, dann sei das Material von der Bremer Firma Hansa Projekt Transport verladen worden. Dies sei eine Tochterfirma der Intergulf in Liberia, die wiederum von zwei Pakistanis geleitet werde. Diese Männer seien international längst als Waffenhändler bekannt.

Der Hanauer Chefermittler Farwick sprach gestern gegenüber der taz von einer Vielzahl von Informationen und Gerüchten. Die Behörde wollte am Nachmittag eine nicht näher bezeichnete Informantin vernehmen. Noch gebe es „keine konkreten Hinweise“ auf eine Proliferation.

Der Verdacht der Proliferation steht offenbar nicht in Zusammenhang mit den 50 Fässern der NUKEM, in denen sich die Asche verbrannter „Büromöbel“ mit Spuren von hochangereichertem Uran befunden hatten (s. taz v. gestern). Diese Fässer sind vielmehr wegen Plutonium-Anteilen in den Blickpunkt staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gerückt. Die Fässer einschließlich der aus ihrem Inhalt ursprünglich vermißten 16 Kilogramm seien inzwischen sichergestellt worden. Aus einem anderen, 1984 erfolgten gesonderten Transport von Mol zur NUKEM fehlen dagegen zwei Fässer, wie Farwick bestätigte. Trotz intensiver 14tägiger Suche seien diese Fässer bisher nicht aufgetaucht.

Die hessische Landesregierung und auch die Staatsanwalt schaft erklärten übereinstimmend, daß entscheidende Hinweise zum Proliferationsverdacht durch die Hanauer Firmen von „journalistischer Seite“ kamen. Der Bonner Energiereport hatte offenbar das hessische Umweltministerium am vergangenen Mittwoch über „dubiose Geschäfte“ des Atomzentrums Mol informiert. Der Energiereport verfüge über Dokumente, die einen Kontakt der Mol-Direktion mit Pakistan belegten. Außerdem seien pakistanische und libysche Ingenieure in Mol ausgebildet worden.

Umweltminister Töpfer insistierte gestern darauf, daß die von ihm verfügte Schließung der NUKEM nicht durch den Proliferationsverdacht begründet sei. NUKEM habe aber Informationen zurückgehalten, es seien Mängel in der Geschäftsführung offenkundig geworden, und es bestünden erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Firma. Insbesondere habe NUKEM die Belastung von 50 Atommüllfässern mit Plutonium, Kobalt und hochangereichertem Uran den Behörden nicht gemeldet.

Unterdessen wird die NUKEM von Polizeiposten „rund um die Uhr“ bewacht. Jedes Fahrzeug werde streng kontrolliert, teilte Landrat Eyerkaufer mit. Bei diesen Kontrollen ist offenbar auch der Versuch aufgeflogen, Unterlagen vom Betriebsgelände der NUKEM wegzuschaffen. Dabei handelte es sich nach Angaben Eyerkaufers um Aktenordner und anderes Material über die Firma RBU.

Generalbundesanwalt Rebmann will den Fall NUKEM nicht übernehmen. Entsprechende Forderungen wurden gestern in Karlsruhe zurückgewiesen. SPD- Umweltsprecher Hauff erhob darüber hinaus die Forderung nach Einsetzung eines Krisenstabes. Nach „harten Informationen“ der Grünen im hessischen soll zumindest der hessische Umweltminister Weimar (CDU) schon vor den Sondersitzungen von Land- und Bundestag über das ganze Ausmaß der TN/NUKEM-Affaire informiert gewesen sein. Wie Joschka Fischer vor der Presse in Wiesbaden erklärte, habe am 23.12.87 im Umweltministerium in Wiesbaden eine Konferenz auf Ministerebene stattgefunden, auf der die Fachbehörde den Staatssekretär Weimars, Popp, über die „Ungereimtheiten“ bei der NUKEM informiert haben soll, die am Donnerstag von Bundesumweltminister Klaus Töpfer als Gründe für die einstweilige Stillegung der NUKEM angeführt wurden. Die Grünen können sich nicht vorstellen, daß Staatssekretär Popp diese „haarsträubenden Erkenntnisse“ (Dick) seinem Minister vorenthalten haben soll. Dick: „Eine Nachricht von solcher Brisanz wird in aller Regel sofort an den Minister weitergegeben“.

Damit stehe fest, daß Umweltminister Weimar auf der Sondersitzung des Umwelt- und Rechtsausschusses des hessischen Landtags und des Bundestagsausschusses nicht die Wahrheit gesagt habe. Darüber hinaus müsse geprüft werden, ob auch Ministerpräsident Walter Wallmann „alles gewußt“ habe, als er im Ausschuß erklärte, daß er erst am 12.1. einen entsprechenden Bericht erhalten habe.