Schewardnadse auf Suche nach Devisen in Bonn

Die Sowjets erwarten sich vom Besuch ihres Aussenministers in Bonn vor allem eine Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen Joint Ventures sollen dem Devisenmangel in der UdSSR abhelfen / Gorbatschow-Besuch in Bonn ist noch nicht sicher  ■ Aus Moskau Alice Meyer

Viele Erwartungen werden an den Besuch des sowjetischen Aussenministers Eduard Schewardnadse in Bonn geknüpft, der gestern begann. Kohl erhofft sich die Festlegung eines Besuchstermins von Michail Gorbatschow in Bonn, was von sowjetischer Seite her jedoch mit vorsichtiger Zurückhal tung betrachtet wird. Neben Themen wie Abrüstung, KSZE-Prozeß und kultureller und ökologischer Zusammenarbeit werden schwerpunktmäßig Wirtschaftsfragen behandelt werden.

Im Jahr 1987 war der bundesdeutsch-sowjetische Warenaustausch um 25 Prozent zurückgegangen. Es war der stärkste Rückgang innerhalb eines Jahres seit den Ostverträgen. Der Grund dafür ist die Ebbe in den sowjetischen Devisenkassen, die durch den Verfall der Ölpreise und die Schwäche des Dollars hervorgerufen wurde. Probleme bei der Vermarktung relativ billiger Rohstoffe und Energieträger haben die rohstofflastige Exportstruktur der Sowjetunion in Schwierigkeiten gebracht. Die sowjetischen Aus senhandelsorganisationen, früher von westlichen Geschäftsleuten wegen ihrer Vertragstreue und pünklichen Zahlungen gerühmt, kommen in letzter Zeit immer häufiger ins Schleudern. Zahlungsverzögerungen von mehreren Monaten sind nicht selten. Der Devisenmangel droht darüberhinaus, Gorbatschows Modernisierungsprogramm zu gefährden: Es ist kein Geld da, um veraltete Betriebe mit neuer Technik und Technologie auszurüsten.

Seit dem 1.Januar 1988 gilt in der UdSSR ein neues Betriebsgesetz. Immer mehr Produktionsunternehmen erhalten das Recht, in eigenem Namen und auf eigene Rechnung Aussenhandel zu treiben. Die begehrte Valuta dürfen die Warenproduzenten nun großteils selber behalten. Unternehmerinitiative „an der Basis“, die auch die Gründung von kleinen und mittleren Joint Ventures mit Ost- und auch Westpartnern einschließen kann, soll nun auch zu einer erneuten Ankurbelung des Handels führen. Angesichts der jahrzehntelangen Isolation der sowjetischen Industriemanager vom Aussenhandel sind bezüglich der Realisierung dieser Pläne Zweifel angebracht. Hinzu kommt die Wirtschaftsflaute auf wichtigen Westmärkten, die mit Autos, Haushaltselektronik und Textilprodukten ohnehin überfüllt sind. Die Sowjets werden hier gegen die Konkurrenz aus Ost-und Südostasien nur schwer ankommen.

Allen Unkenrufen zum Trotz sind Westfirmen jedoch bereits in grösserer Zahl in Joint Ventures mit sowjetischen Partnern eingestiegen. Es lockt der Binnenmarkt der – wie Franz Josef Strauß in Moskau formulierte – „300 Millionen Menschen“. Bundesdeutsche Partner rangieren dabei ganz weit vorn. Von bisher rund 20 „Ehen“ sowjetischer Betriebe mit kapitalistischen Firmen wurden sechs mit einem bundesdeutschen Partner abgeschlossen.