Was wird gespielt?

■ Die heftigen politischen Reaktionen auf den „Urangate“-Skandal machen mißtrauisch

Die Aufgeregtheit, mit der die Bundesregierung und die hessische Landesregierung auf den jüngsten Proliferations-Verd Argentinien, Brasilien und Südafrika sind dafür die bekanntesten Beispiele. Auch der Ankauf von Bauteilen für eine pakistanische Anreicherungsanlage ist lange bekannt. Nur: Bisher wurden selbst die offenkundigsten Fälle dementiert. Daß sich waffenfähiges Material abzweigen läßt, haben die zurückliegenden Skandale bei NUKEM, ALKEM und RBU ebenfalls bereits zur Genüge unter Beweis gestellt. Jedoch hinderten diese unerhörten Unregelmäßigkeiten Bundes- wie Landesregierung bisher nicht daran, den Hanauer Firmen immer wieder Persilscheine auszustellen und in der Öffentlichkeit das Märchen von den lückenlosen Spaltstoffkontrollen aufrechtzuerhalten.

Wenn sich nun dieselben staatlichen Instanzen und Politiker in der Pose des Saubermanns gefallen und voller Empörung auf die aktuellen, bislang nicht bewiesenen Verdächtigungen reagieren, drängt sich die Frage auf: Warum? Es bieten sich verschiedene Erklärungen an, die naturgemäß zum jetzigen Zeitpunkt spekulativ bleiben müssen. Möglich wäre, daß es in der Tat schwerwiegend belastendes Material in bezug auf die deutschen Firmen und die Bundesrepublik gibt, das aber nichts mit der Connection Mol-Pakistan oder Libyen zu tun haben muß. Wenn sich aber die in der Öffentlichkeit hinsichtlich Mol hochgepuschten Verdächtigungen als gegenstandslos erweisen, stände die BRD als bester Hüter des Atomwaffensperrvertrags da, die jedem auch noch so vagen Hinweis akribisch nachgeht. Auffällig ist zum zweiten, daß sehr schnell die Diskussion in die Richtung gelenkt wurde, die Atomfirmen unter stärkeren staatlichen Einfluß zu stellen. Da muß der Verdacht aufkommen, daß die gegenwärtige öffentliche Erregung über die Zustände in den Atomfirmen ein willkommener Anlaß ist, weiterreichende staatliche Pläne zu verwirklichen. Das Ausmaß, in dem die bisher bekannten Illegalitäten der Atomwirtschaft staatlich gedeckt und protegiert wurden, sollte Grund genug sein, diese Diskussion mit äußerstem Mißtrauen zu verfolgen. Die perfekte staatliche Kontrolle ist das „Modell Windscale 1957“.

Zum dritten ist durch das Starren auf Belgien, Pakistan oder andere Länder der Welt bisher das politisch brisanteste Thema aus der Debatte ausgeblendet: die eigenen Atomwaffen-Optionen der Bundesrepublik. Zu fragen wäre also nicht nur: Was geschieht in Mol? sondern: Was befindet sich eigentlich in dem staatlichen Plutoniumbunker bei ALKEM? Wieviel Plutonium und für welchen Zweck liegt dort überhaupt?

Es ist nicht auszuschließen, daß die Öffentlichkeit mit der Debatte der vergangenen vier Tage bewußt auf eine falsche Fährte gelockt wurde. Für alle, die jetzt intensive Recherchen aufgenommen haben, sollten die möglichen Dementis der nächsten Tage heißen: am Ball bleiben! Charlotte Wiedemann