Die strahlende Connection

■ NUKEM, Belgien, Pakistan und die internationale nukleare Kooperation

Wieviele internationale Unternehmen noch im bundesrepublikanischen „Urangate“ verwickelt sind, wagt man kaum mehr zu fragen. Der Ruf nach stärkerer staatlicher Kontrolle – vor allem von seiten bundesdeutscher Politiker – kommt in jedem Fall zu spät. In Belgien konnte das staatliche Forschu

Wer hatte Angst vor Paul Staes? Niemand, offensichtlich am wenigsten seine Gegner. Der Europaabgeordnete der flämischen Grünen (Agalev) lieferte bereits im Oktober letzten Jahres eine schlüssige Beweiskette für die atomare Belgien-Pakistan-Connection. Das interessierte damals nur wenige. Doch nachdem Staes am Freitag erneut an die Öffentlichkeit trat und Einzelheiten berichtete, wie spaltbares Material über den Lübecker Hafen auf finnischen Schiffen nach Pakistan gelangte, haben die Betroffenen offenbar Feuer gefangen. Heute nämlich verweigert Staes jede weitere Erklärung über die Lübecker Atomfracht. Sowohl er wie seine Informanten hätten am Samstag unmißverständliche Warnungen erhalten. Zuvor bereits kündigte er an, noch im Besitz unveröffentlichter Informationen zu sein.

Ins Spiel gebracht hatte Staes die internationale Holding Intergulf mit Sitz in Monravia, Liberia, deren Tochtergesellschaft Hansaprojekttransport aus Bremen in Lübeck Hafeninstallationen besitzt. Intergulf werde u.a. von zwei Pakistanern geleitet, die ihren Wohnsitz in der Schweiz und Luxemburg hätten und international als Waffenhändler bekannt seien. Ein eindeutiger Beweis für den Intergulfhandel mit angereichertem Uran oder Plutonium über Lübeck würde gleichzeitig einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag belegen.

Selbstverständlich hat man am Wochenende von seiten der belgischen Regierung und den Verantwortlichen des Atomforschungszentrums im flämischen Mol kategorisch jede Möglichkeit abgestritten, daß spaltfähiges Material von Belgien nach Pakistan gelangen konnte. Allerdings läßt die Natur der bisherigen Beziehungen zwischen Belgien und Pakistan im atomaren Bereich an der Glaubwürdigkeit der Beteuerungen zweifeln.

Bereits Anfang 1987 hatte der Leiter des pakistanischen militärischen Atomprogramms, Abdel Qader Khan, in einem Interview mit dem britischen Observer behauptet, daß es zwar „schwierig gewesen sei, die Atomwaffe zu produzieren, weil die USA und Europa es ablehnten, die Bestandteile zu verkaufen“. „Aber“, so Khan weiter, „wir konnten das, was wir brauchten, kaufen, ohne daß die europäischen Regierungen davon Wind bekamen.“ Zwar dementierte Khan diese Aussagen später, doch bestätigten die Dokumente, die Paul Staes im Oktober 1987 vorlegte, jene entscheidende These: Die belgische Regierung war über die Zusammenarbeit des eigenen staatlichen Forschungszentrums CEN in Mol mit Pakistan völlig unzureichend informiert.

Ohne Wissen der Regierung wie auch des CEN-Aufsichtsrats unterzeichneten CEN-Direktor Amelinckx und sein damaliger Stellvertreter Dejonghe auf ihrer gemeinsamen Reise nach Pakistan im März 1986 ein „Memorandum of understanding“ für die Zusammenarbeit mit der pakistanischen Atombehörde (PAEC), das sehr allgemein gehalten ist. Als der belgische Wirtschafsminister Maystadt, Schirmherr des CEN, von dem Abkommen erfuhr, wandte er sich in einem Schreiben vom 19. Februar 1987 besorgt an seinen Kollegen, Außenminister Tindemans und bat um eine Bestätigung, ob dieser „vor der Unterzeichnung von dem Vertragstext Kenntnis genommen habe, und ob sein Inhalt streng konform mit den internationalen Verpflichtungen des Landes ist“. In seiner Antwort konnte Tindemans eine Kenntnisnahme des Vertrages vor der Unterzeichnung nicht bestätigen, lieferte aber eine allgemeine Erklärung der belgischen Pakistanpolitik: „Die Politik, die wir gegenüber Pakistan verfolgen, hat zum Ziel, nicht alle Bindungen in der nuklearen Kooperation mit diesem Land zu brechen, um eine bestimmte Kontrolle auszuüben und im besonderen Maße Informationen über die pakistanischen Aktivitäten in Atomfragen zu erhalten.“ Diese Antwort Tindemans vom März 1987 ließ alle Fragen offen. Nun hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Khan wie auch der pakistanische Präsident Zia-Ul Haq behauptet, ihr Land sei im Besitz der Bombe. Im Febraur 1987 war zudem der belgische Außenhandelsminister De Croo in Pakistan zu Besuch gewesen und hatte auch in Atomangelegenheiten verhandelt. Eine Hypothese drängt sich auf: Da er „im besonderen Maße“ informiert wurde, wußte Tindemans von der Richtigkeit der Stellungnahmen Khans und Zias und schreibt Belgien nun die Rolle zu, die eigentlich der Internationalen Atomaufsichtsbehörde in Wien zusteht, nämlich die Rolle des Kontrolleurs.

Tatsächlich hatte es im belgischen Außenministerium bereits kurz nach der Unterzeichnung des Memorandums zwischen beiden Institutionen CEN und PAEC heftige Kritik gegeben. Die Leiterin der wissentschaftlichen Abteilung Tindemans, Simone Herpels, verfaßte am 14. April 1986 eine Analyse des Abkommens, in der sie sich insbesondere beklagt, daß CEN und PAEC laut Memorandum im Bereich der Experimentierung mit Brennstoffen kollaborieren wollen, aber dabei nicht präzisiert wird, um welche Brennstoffe es sich handelt. Kann man heute deshalb der belgischen Regierung Vorwürfe sowohl wegen Unkenntnis (Maystadt) als auch vollkommener Undurchsichtigkeit (Tindemans) machen, scheint dennoch das Verhalten der Verantwortlichen des CEN in Mol zuallererst fragwürdig. Amelinckx und Dejonghe handelten ohne jede Kontrolle von seiten der Regierung oder des Aufsichtsrats auf eigene Faust. Die pakistanischen Praktikanten, die sie später in Mol empfingen, waren keine Anfänger, sondern lang erprobte Ingenieure des PAEC. Beobachter gaben bekannt, daß sie kofferweise Materialien kopierten und entwendeten. In Mol will man nächsten Freitag mit großem Pomp die Pensionierung Amelinckx feiern. Inzwischen ist Dejonghe an seinen Platz gerückt. In Sachen Mol ist in Belgien noch kein einziges gerichtliches Verfahren angestrengt. Die bisher von den Ermittlungen in Hanau Überführten wurden lediglich entlassen. Georg Blume