Volkszählung a la Sowjetunion

■ In einem Jahr schwärmen die Zähler aus / Ihr Ziel: BürgerInnen erfassen, Pläne kontrollieren

Aus Moskau Alice Meyer

In einem Jahr - zwischen 12. und 19.Januar 1989 - werden auch in der UdSSR die Volkszähler ausschwärmen. Hauptinteresse, so der stellvertretende Leiter der Hauptabteilung für Bevölkerungsstatistik beim Staatskomitee der UdSSR für Statistik, N.S. Schwarzer, ist die Erfassung des Umfangs „der Naturreichtümer, der Industriekapazitäten und der Bodenfruchtbarkeit, aber auch der menschlichen Ressourcen“. Unter die Rubrik „menschliche Ressourcen“ gehört wohl die zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Nennung der Einkommensquellen der BürgerInnen gestellte Frage, ob sie einer „individuellen Arbeitstätigkeit“ nachgehen. Die Zahl derjeniger, die es wegen der Abgabenbelastung vorziehen, Leistungen in der „Schattenwirtschaft“ am Feierabend oder Wochenenden für eigene Rechnung anzubieten, sei so aber kaum statistisch aufklärbar. „Volkszählungsscheue“ werden diejenigen sein, die ohne Zuzugsgenehmigung und eventuell ohne festen Arbeitsplatz in den Metropolen Moskau, Leningrad, Kiew usw. leben. Technische Vorkehrungen, das Datenmaterial zu anonymisieren, gibt es offenbar nicht. „Die Zählbögen sind so angefertigt, daß sie nach Ausfüllung durch den Zähler und nach geringfügiger Nachbearbeitung der elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen zugeführt werden können“, sagte Schwarzer. Die Angaben sollen „in zusammengefaßter, verallgemeinerter Form“ verwendet werden. Das Volkszählungsvorhaben verletze weder „Persönlichkeits– noch Eigentumsrechte oder Interessen“ Einzelner. Der Zähler kommt „mindestens zweimal“, das erste Treffen mit den Hausbewohnern dient der Inventarisierung des Wohnraums. Während des zweiten Hausbesuchs werden dann die Angaben durch den Zähler in die Volkszählungsbögen eingetragen. Dokumente oder sonstige Papiere brauchen nicht vorgezeigt zu werden. Nach Abschluß der Aktion schalten sich staatliche „Instruktoren und Kontrolleure“ ein, um das Datenmaterial zusammen mit dem Zähler zu überprüfen. So soll festgestellt werden, ob sämtliche Bewohner „erfaßt“ worden sind, und die Antworten werden daraufhin durchgegangen, ob sie glaubwürdig sind. Ein dritter „Kontroll–Rundgang“ wird „stichprobenweise“ erfolgen.