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Im sozialen Datennetz

Die Patientendateien, die jetzt nach den Plänen des Bundesarbeitsministeriums bei den Krankenkassen aufgebaut werden sollen, sind nur ein Baustein eines ganzen Datengebäudes, an dem zur selben Zeit in Bonn gezimmert wird. Zwei bisher kaum beachtete Gesetzesvorhaben stehen dabei im Vordergrund, die zu den geplanten Patientendateien passen wie der dritte Mann zum Skat.

Baustein Nummer eins: Unter dem zungenbrecherisch-bürokratischen Namen „Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuches über die Übertragung, Verpfändung und Pfändung von Ansprüchen auf Sozialleistungen, zur Regelung und Verwendung der Versicherungsnummer und zur Änderung anderer Vorschriften“ liegt den zuständigen Ausschüssen in Bonn derzeit ein Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgesetzbuches vor. Wichtigster Kernpunkt dieses Entwurfes: Er soll die datenrechtliche Verwendung der Sozialversicherungsnummer regeln – einer Nummer, die unverwechselbar rund 90 Prozent aller Berufstätigen in der Bundesrepublik angeheftet bekommen, sobald sie ins Arbeitsleben eintreten und die sie bis zu ihrem Tod nicht mehr loswerden. Diese von den Trägern Rentenversicherungen vergebene Nummer hat sich in den letzten Jahren immer mehr zum praktischen, weil EDV-freundlichen Ordnungsmerkmal für den gesamten Sozialbereich entwickelt. Nicht nur die Rentenversicherungen benutzen diesen Zahlencode, auch die Krankenkassen und die Bundesanstalt für Arbeit verwenden ihn, die Bundespost hat für die Rentenauszahlungen einen Zugriff darauf und auch Großbetriebe versuchen immer mehr, sich der Sozialversicherungsnummer als Kennummer zur systematischen Erfassung ihrer Beschäftigten zu bedienen.

Heimliches Personenkennzeichen?

Die Sozialversicherungsnummer, so erkannte man im Computerzeitalter sehr rasch, ist nicht nur ein funktionales Ordnungsmerkmal, sondern auch ein praktischer Dietrich für den gesamten Datenbestand im Sozialbereich. Die Sozialversicherungsnummer drohte zu dem vom höchsten deutschen Gericht ausdrücklich verbotenen Personenkennzeichen zu werden. Nach dem Volkszählungsurteil von 1983 stand nun der Gesetzgeber unter Handlungszwang, diesen Daten-Wildwuchs im Sozialbereich gesetzlich zu regeln. Doch was jetzt dabei als Gesetzentwurf herausgekommen ist, schreibt die bisherige Selbstbedienungspraxis nur fest. Innerhalb des Sozialbereichs, so die Planung, dürfen sich die großen Sozialleistungsträger wie die Rentenversicherungen, Krankenkassen und Arbeitsämter der Sozialversicherungsnummer nach wie vor uneingeschränkt bedienen. Damit könnten sie untereinander sensible Dateien über Krankheiten, Arbeitsverhältnisse, Berufsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit errichten und erschließen. „Soweit es ihre Aufgabenstellung erforderlich macht“, so heißt es butterweich in dem Gesetzentwurf, dürfen beispielsweise auch Wohngeldstellen, Sozial- und Jugendämter und Gerichte sich diesen Zahlencode als Dietrich ausleihen. Nur außerhalb des sozialen Bereiches, etwa in der Industrie als Mitarbeiterkennziffer, soll die Sozialversicherungsnummer tabu bleiben.

Dafür steht aber nach dem Gesetzentwurf die lebenslängliche Versicherungsnummer eine(r)s jeden einzelnen zum Zwecke der „Forschung, Rehabilitation und Prävention“ im medizinischen Bereich zur freien Verfügung; eine „Generalklausel“, die gerade in der Diskussion um AIDS-Meldepflicht und Krebsregister brisant werden könnte, meinen die Grünen, die als einzige bisher ein Veto gegen den Entwurf eingelegt haben: „Worin „unterscheidet sich die vorgesehene Versicherungsnummer, mit der ca. 90 Prozent der Bevölkerung erfaßt werden, von einem allgemeinen Personenkennzeichen?“ In der letzten Woche konnten die Grünen mit einem Antrag im Sozialausschuß gerade noch verhindern, daß der Entwurf klammheimlich über die Bühne ging. Jetzt soll Bundesdatenschützer Baumann noch einmal Stellung nehmen, und die Grünen hoffen ihre Parlamentskollegen durch ein Rechtsgutachten des Bremer Datenrechtsexperten Steinmüller noch einmal umzustimmen.

Das Netz wird zugezogen

Der zweite Baustein im geplanten Sozialdatengebäude wird sämtlichen ArbeitnehmerInnen in der Bundesrepublik u.U. schon bald in Form einer kleinen Plastikkarte ins Haus kommen. Wie berichtet (s. taz vom 3.12.87) plant die Bundesregierung die Einführung eines Sozialversicherungsausweises mit der Versicherungsnummer als Nummerncode, den jede(r) Beschäftigte bei sich tragen muß. Obwohl dieser Ausweis bei den Arbeitgeberverbänden und in den Gewerkschaften umstritten ist, hat das Bonner Arbeitsministerium jetzt einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt. Mit Bußgeldern bis zu fünftausend Mark sollen danach Arbeitnehmer bestraft werden, die ihrem Chef diesen Ausweis nicht vorgezeigt haben und ihn bei eventuellen Kontrollen der Arbeitsämter oder der Gewerbeaufsicht nicht vorlegen. Bis zu 20.000 Mark soll es den Arbeitgeber kosten, wenn er es unterlassen hat, sich den Ausweis vorzeigen zu lassen und wenn er seine Beschäftigten nicht umgehend bei der Sozialversicherung anmeldet.

Brisant an diesem zusätzlichen Ausweis ist nicht nur, daß damit die Sozialversicherungsnummer für den täglichen Hausgebrauch hoffähig gemacht wird; ähnlich wie die geplante Patientendatei wird auch der neue Ausweis zum Kontrollinstrument werden, das bisherigen Freiräumen und kleinen Schummeleien einen Riegel vorschieben soll. Denn weit mehr als der Überwachung der Schwarzarbeit widmet sich der jetzt vorliegende Gesetzentwurf für den Sozialversicherungsausweis den kleinen Betrügereien der Arbeitslosen, die ihre Leistungszahlungen durch eine heimliche Arbeit aufbessern. Gegen sie wird dieses Kontrollinstrument auch am ehesten funktionieren, denn nach den jetzigen Plänen werden Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger ihren Sozialversicherungsausweis bei den Ämtern hinterlegen müssen und bekommen dafür einen Ersatzausweis ausgestellt. Arbeitgeber, denen ein Beschäftigter einen solchen Ersatzausweis vorlegt, müssen das umgehend ans Arbeits- oder Sozialamt melden, und sie werden es wohl in den meisten Fällen auch tun. Denn andernfalls, so sieht das Gesetz vor, müssen sie persönlich den Betrag zurückerstatten, den ihre Beschäftigten zu Unrecht an Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld bezogen haben. Dank eines unbeachteten papiernen Gesetzes, einer kleinen Plastikkarte und eines gut funktionierenden Datenverbunds zieht sich das soziale Netz ganz ohne Aufsehen zu.

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