Eine kritische Zeitung für ein geteiltes Land

Bald an jedem Kiosk Süd-Koreas: „Hankyoreh Shinmun“, die „Zeitung für die geeinte Nation“ / Gegründet von 200 entlassenen Journalisten: Debatten um Einheitslohn, Hierarchien und Frauenquote / Das Startkapital der Aktiengesellschaft soll vom Volke kommen / Bei den Etablierten regiert die Schere im Kopf  ■ Aus Seoul Nina Boschmann

Journalist sein in Korea ist ein wirklich hartes Brot. Nicht, daß es keine Jobs gäbe. Sechs landesweit verbreitete Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von über zehn Millionen Stück deuten darauf hin, daß die 40 Millionen, die im Süden des geteilten Landes leben, durchaus ein Interesse an Gedrucktem haben, und auch die Bezahlung ist nicht schlecht: Mit durchschnittlich über 1.000 Dollar Monatssalär gehören die Schreiberlinge von Seoul zu den Spitzenverdienern des vielgepriesenen Wirtschaftswunders am Han-Fluß.

Nein, das Problem liegt woanders. Wer in Koreas Journaille überleben will, der braucht entweder einen sehr runden Rücken oder einen langen, langen Atem. „Denn“, so erklären Herr Song Kun-Ho und Herr Imm Jhai-Kyung vom „Rat für eine demokratische Bewegung in der Presse“, „es gibt zwar Zeitungen, aber keine Presse, die diesen Namen verdient. Die Massenmedien verfolgen die Interessen von Regierung und Konzernen, sie sind exklusiv und monopolistisch.“

Was das heißt, haben die beiden früheren Leitartikler führender Blätter am eigenen Leibe erfah ren. Herr Song, ehedem Chefredakteur bei der auflagenstärksten Dong-a-Ilbo, trat 1975 aus Protest von seinem Posten zurück, nachdem 160 seiner Kollegen auf einen Schlag aus politischen Gründen gefeuert worden waren. Sein Mitstreiter, Herr Imm, verlor seinen Job als Kommentator bei der Hangguk-Ilbo, als er im Mai 1980 nach dem Staatsstreich von Präsident Chun Doo Hwan zusammen mit 134 anderen Intellektuellen ein „Manifest für Menschenrechte und Demokratie“ unterschrieb und prompt für fünf Monate im Knast verschwand. 700 weitere Journalisten, die es wagten, trotz Regierungsanweisung über das Massaker von Kwangju zu berichten, erging es ebenso. Einige sitzen noch heute, die anderen haben Berufsverbot.

Seither herrschte Ruhe an der Papierfront. Die verbliebenen Kameraden mit den runden Rücken folgten brav den täglich vom Informationsministerium telefonisch oder schriftlich ausgegebenen Richtlinien wie etwa der folgenden: „...die Kritik, Staatspräsident Chun erscheine zu häufig im Fernsehen, außer acht zu lassen“ (9.6.86) oder „über die Verfassungsdebatte nicht ausführlich zu mutmaßen“ (7.6.87). Da durften bestimmte Worte nicht in der Überschrift erscheinen, Proteste an den Universitäten waren grundsätzlich von „radikalen“ Studenten initiiert und durften oft überhaupt nur erwähnt werden, wenn auf der gleichen Seite ausführlich über die „Bemühungen der Regierung zur Verbesserung des Erziehungssystems“ berichtet wurde. Regierungskorrespondenten in den Provinzen durfte nur die halbamtliche Nachrichtenagentur YONHAP haben. Der einzige Lichtblick war MAL (das Wort), ein vom „Rat für eine demokratische Bewegung in der Presse“ seit 1985 zwölfmal herausgegebenes Untergrundmagazin, das von der Regierung regelmäßig beschlagnahmt wurde.

Eine Zeitung fürs Volk

Damit das nicht so bleibt, haben sich jetzt die mit dem langen Atem zusammengetan, um bis zum nächsten Frühjahr zum ersten Mal seit Ende der sechziger Jahre eine neue Tageszeitung auf die Beine zu stellen: Hankyorej Shinmun – die Zeitung für die geeinte Nation.

Der Zeitpunkt war günstig, denn von den am 29. Juni nach den landesweiten Protesten von Chun- Nachfolger Roh Tae-Woo verkündeten Demokratisierungsmaßnahmen ist auch die Presse be troffen, und die Regierung – so hoffen die Initiatoren des Projekts unter Führung von Herrn Song und Herrn Imm – ist mit den verschiedenen Wahlen zu beschäftigt, um ihnen allzu viele Steine in den Weg zu legen.

Eine schnieke Büroetage in der Nähe der Konkurrenzblätter ist bereits angemietet und auch an motivierten Mitarbeitern herrscht kein Mangel. Rund 180 entlassene Journalisten waren schon bei der Gründungsfeier am 23. September dabei, denn die meisten der 1975 und 1980 Gefeuerten stehen auf dem Standpunkt: Journalist bleibt man sein Leben lang, auch wenn man sich noch so lange als Übersetzer oder Gemüseverkäufer durchschlagen muß.

Über 3.000 prominente Dissidenten, unter ihnen zahlreiche Professoren, Priester, Kirchenführer und Vertreterinnen von Frauengruppen, haben öffentlich ihre Unterstützung für Hankyoreh Shinmun bekundet. Jetzt wird im sechsten Stock des Anguk-Hochhauses an Finanzierungsmodellen und redaktionellem Konzept gefeilt. 40 Stellen kann das Projekt sich dafür in der Vorbereitungsphase leisten. 250 sollen es ab Februar werden. Die generelle Linie ist simpel: „Das Volk verdient eine wirklich demo kratische Zeitung. Also werden wir einfach die Wahrheit schreiben und uns davon weder durch politischen Druck noch durch Geschäftsinteressen abbringen lassen“, verkünden Herr Song und seine Mitstreiter unisono.

Tabuthemen bevorzugt

Auch wenn die berüchtigten Presserichtlinien formal nicht mehr existieren, mangelt es nicht an Tabuthemen. „Die Arbeiterbewegung taucht kaum auf, die Großkonzerne werden mit Samthandschuhen angefaßt, der Präsident hat keine Vergangenheit und über allem regiert die Schwere im Kopf“, faßt mein Gesprächspartner Lee Byung-Hyo im Hankyoreh-Büro die „Errungenschaften“ der Konkurrenzblätter seit Juni zusammen.

Er hatte Glück und konnte die Zeit nach seiner Entlassung mit einem Promotionsstipendium in den USA überbrücken. Selbst da, so findet er, läßt die Presse zu wünschen übrig. Zum Beispiel werde in den Berichten über die Präsidentschaftswahlen ständig über die Gewalttätigkeiten auf Rohs Rallyes berichtet. „Und dabei sind die paar Steine, die da geflogen sind, nichts im Vergleich zu den Massakern, die vorher von der Regierung begangen wurden.“ Immer noch setze der koreanische Geheimdienst die Zeitungen in Seoul unter Druck, die Liebschaften von Oppositionspolitiker Kim Young-Sam aufs Tablett zu heben.

„Natürlich müssen auch wir uns an die Gesetze halten, aber wir haben mehr Spielraum. Wir können vielleicht nicht alles über Nordkorea bringen, aber wir können über Wiedervereinigung diskutieren. Wir können jetzt Lokalausgaben machen, die diesen Namen verdienen, wir können uns um andere Primärquellen für die hierzulande unerträglich verdrehte Nahostberichterstattung bemühen.“

Damit der neue Geist auf den ersten Blick erkennbar ist, wird Hankyoreh Shinmun als erstes koreanisches Blatt so weit wie möglich auf chinesische Schriftzeichen verzichten und sich auf die wesentlich einfachere koreanische Han-Gul-Schrift beschränken. Die Lettern sollen von links nach rechts geschrieben werden, wie bei uns, und nicht von oben nach unten, wie es die japanischen Kolonisatoren in Korea eingeführt haben.

Dazu noch einmal Lee Byung- Hyo: „Obschon der Bildungsstand in Korea höher ist als in den USA, können nur 35 oder 40 Prozent der Bevölkerung wirklich lesen und verstehen, was in den Zeitungen steht. Erst ab der zwölften oder 13. Klasse beherrscht man die chinesischen Schriftzeichen genügend.“ Warum werden sie dann überhaupt verwendet? „Wenn man sie einmal kann, sind sie platzsparender als die koreanische Schrift, aber sie erhöhen die Zugangsschwelle zur Bildung erheblich.“

Hierarchiedebatte

Selbst das in der konfuzianischen Gesellschaft Koreas felsenfest verankerte Prinzip der Hierarchien zwischen allem und jedem ist bei der Zeitung für die geeinte Nation nicht mehr heilig. Hitzige Debatten werden über den von einigen Journalisten eingebrachten Vorschlag eines Einheitslohnes geführt. Nicht öffentlich natürlich, und Lee hat seine Zweifel, daß derart „idealistisches und utopisches Gedankengut“ letztendlich durchkommt: „Man kann nicht einfach die Familiengröße, den Hintergrund und die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen negieren. Wir werden Hierarchien haben, aber weniger als andere Zeitungen.“ So soll Herr Song, der Vorsitzende des Vorbereitungskomitees, später nicht Chefredakteur werden, denn bei allem Respekt: „Wir wollen doch eine junge Zeitung machen.“

Und vorerst ist auch die Lohnfrage eher sozial gelöst worden. Die zehn zukünftigen Herausgeber arbeiten weitgehend unentgeltlich, weil die meisten von ihnen noch andere Einnahmequellen haben. Die weniger flüssigen jüngeren Reporter erhalten jetzt schon an die 500 Mark im Monat, ein normaler Facharbeiterlohn, aber nur ein Bruchteil dessen, was sie mit zehn oder mehr Jahren Berufspraxis woanders verdienen würden (die Zeit in der geistigen Diaspora, so betont Lee Byung- Hyo, wird natürlich als Berufspraxis angerechnet). So ist denn das dunkelste Kapitel bei Hankyoreh Shinmun die mangelnde Beteiligung von Frauen, von denen ganze zwei im Herausgebergremium sitzen und noch mal so viele als Reporterinnen auf Achse sein werden. „Das Problem ist“, so erzählt mir eine der beiden Glücklichen namens Ahn Jong-Suk, „es gibt insgesamt kaum Journalistinnen. Ergo wurden auch nicht viele entlassen und da dies ein Projekt von entlassenen Journalisten ist ...“ Sie wurde 1980 bei Hangguk- Ilbo gefeuert, weil ihr Mann als Aktivist der Opposition galt. Inzwischen hat er einen Job bei einem Forschungsinstitut bekommen, sodaß sie sich eine Betreuung für die beiden Kinder leisten können. „Ein seltener Fall“, erklärt mir Herr Imm, „ihr Mann hat nichts dagegen, daß sie arbeitet.“ Und wann wird nun die erste Ausgabe erscheinen? Am ersten März, wenn alles gut geht. Das heißt, wenn genügend Geld zusammen kommt. Mit einer Million Mark – so hat das hoffnungsvolle Team ausgerechnet – können sie anfangen, ein Drittel davon haben sie schon.

Es ist das Geld des Volkes, und Hankyoreh Shinmun wird die erste Aktiengesellschaft mit breitgestreutem Besitz. „Wir wollen keine Spenden, sondern Investitionskapital“, erklärt mir in bester Unternehmermentalität Lee Byong-Hyo, „und da gibt es genug Interessenten.“ Mit zehn Mark pro Aktie ist man/frau dabei, aber mehr als 100.000 Mark auf einmal soll keiner mitbringen, und 30 Prozent der Anteile werden in Händen der Beschäftigten bleiben. Wer die neuen Aktionäre sind? Alle Berufssparten sind vertreten, und sogar ein Militär ist schon vorstellig geworden, lautet die optimistische Antwort.