Ein Pyrrhussieg für die Demokratie

■ Argentiniens Präsident gerät nach dem Putsch in stärkere Abhängigkeit von seiner Armeeführung

Nach der Niederschlagung des Putsches in Argentinien wartet die Öffentlichkeit auf den Preis, den Präsident Alfonsin an die loyale Armeeführung zahlen muß. Der vermeintliche Retter der Demokratie, Armeechef Jose Caridi, drängt auf Amnestie für die verurteilten Chefs der früheren Militärdiktaturen und eine öffentliche, nachträgliche Legitimierung des „schmutzigen Krieges“ in den 70er Jahren.

Am Montag nachmittag argentinischer Zeit wurde die von dem aufständischen Oberstleutnant a.D. Aldo Rico und seinen etwa 100 Kumpanen besetzte Kaserne in Monte Caseros geräumt. Rico, der die Militärrebellion Ostern 1987 (“Operation Würde“) angeführt hatte, ergab sich bedingungslos. Er wurde in einem Hubschrauber nach Curuzu Cuatia verfrachtet, wo der Alfonsin-loyale Generalstabschef des Heeres, Caridi, sein Hauptquartier hat. Was mit seinen Anhängern geschah, ist noch ungewiß.

Der jüngste Konflikt war entstanden, nachdem ein Militärrichter in der vergangenen Woche entschieden hatte, daß Rico seinen Arrest nicht in dem Privat-Park „Los Fresnos“ im Vorort Bella Vista verbringen dürfe. Dort hatte sich der Kopf der „Carapintadas“ (Soldaten mit geschwärzten Gesichtern) demonstrativ mit Kumpanen getroffen und in Rundfunkansprachen alle Waffengattungen zum Sturz des Oberkommandierenden des Heeres, General Jose Dante Caridi, aufgefordert. Von Caridi fühlt sich Rico hinters Licht geführt, weil er seine Versprechungen nicht erfüllt habe. Bis heute seien die Ex-Kommandanten nicht amnestiert, und der „schmutzige Krieg“ sei immer noch nicht öffentlich gerechtfertigt worden. Rico fühlt sich auch persönlich von seinem obersten Kriegsherrn betrogen, weil er ihn nicht vor Degradierung und Strafverfolgung wegen der „Operation Würde“ bewahrt hat.

„Los Fresnos“ wurde zu einem parallelen Befehlsstand und damit untragbar. Caridi kreiste den rebellischen Oberstleutnant mit Panzern ein und schickte ihm einen Militärrichter auf den Hals. Am 15. Januar erging gegen Rico Haftbefehl, doch der hatte sich in der Nacht zuvor, aller Bewachung zum Spott, mit einer kleinen Cessna samt seinen Leuten aus dem Staub gemacht. Er würde sich bei der Militärjustiz von seinem neuen Wohnort aus melden, ließ er ausrichten. Man durchsuchte „Los Fresnos“, fand Einschüsse in der Wand und ließ sich von Ricos Ehefrau das Gerücht vom Attentat auf die Nase binden.

Der Generalstab des Heeres gab eine von der Presse kaum beachtete Erklärung heraus: Rico führe gegenwärtig einen Privatkrieg, er sei „kein Sprecher eines bedeutenden Teil des Heeres“ und benutze die „berechtigten Zweifel der Mehrheit der Soldaten“ für private Interessen. Rico verschanzte sich in der Kaserne Monte Caseros, im Dreiländereck Brasilien, Argentinien und Uruguay. Er beschuldigte Caridi der „Nichterfüllung der Versprechungen“ und erklärte, er wolle mit der Besetzung die „Operacion Dignidad“ weiterführen. Deren Ziele sei 1) eine „politische Lösung“ der Konsequenzen aus dem schmutzigen Krieg, 2) Schluß mit der Kampagne gegen die Streitkräfte und 3) die Wiedererlangung der Würde und der Einheit des Heeres. Caridi antwortete mit einem Marschbefehl gegen die 100 Besetzer in Monte Casero, die über Panzerwagen, leichte Artillerie und Maschinengewehre verfügten.

In vier anderen Kasernen des Landes schmierten sich Soldaten aus Solidarität mit Rico (“dem Held der Malvinen“) schwarze Farbe ins Gesicht. Diese Proteste, als „Rebellion“ ausgelegt, wurden in Neuquen, Rospentek und San Luis nach kurzer Zeit niedergeschlagen; In San Miguel de Tucuman, wo die Kaserne des 19. Infanterieregiments von loyalen Soldaten umzingelt war, ergaben sich die Meuterer kurz danach, doch gelang es dem dort verantwortlichen Oberstleutnant Leon, seinen Häschern zu entkommen. Leon, ein enger Freund Aldo Ricos, der bis vor einem halben Jahr das Regiment befehligt hatte, war am Sonntag nachmittag in der Kaserne erschienen und hatte das Kommando übernommen. Mit seinen 300 Mann wollte er ursprünglich zur Verstärkung Ricos nach Monta Caseros ausrücken. In Neuquen wurden gerade 13 Carapintadas verhaftet, in San Luis 15, darunter ein Militärkaplan. Die Besetzung des städtischen Flughafens in Buenos Aires hatte nur Stunden gedauert. Alle sechs (!) Besetzer wurden widerstandslos abgeführt.

Nach der nahezu kampflosen Kapitulation pilgerten haufenweise Politiker in die Kaserne und feierten den „Triumph der Demokratie“. Caridis Stunde als „Verteidiger der Verfassung“ hat geschlagen. Daß die argentinische Bevölkerung den tagelangen Konflikt eher desinteressiert verfolgt hat, und daß auf dem Höhepunkt der Rebellion bei sommerlichen Temperaturen allein an einem Tag 200.000 die Hauptstadt in Richtung Meer verlassen haben, werten die Politiker als Kompliment. Vize-Präsident Victor Martinez, gerade noch rechtzeitig zur Räumung der Kaserne aus dem Badeurlaub herbeigeeilt, begründete das Desinteresse in einem Fernsehinterview so: „Das Volk hatte eben Vertrauen in die Verfassung.“ Gaby Weber