Jetzt erwischts Weimar

■ Hessens Umweltminister auf der Rutschbahn / Weimar: Es gab nur einen Informanten für den Verdacht auf Proliferation an Libyen und Pakistan

Frankfurt/Berlin (taz) – Hat die hessische Landesregierung nur aufgrund „dürftiger Hinweise“ den größten Atomskandal in der Geschichte der Bundesrepublik losgetreten und sich damit „unschätzbare Verdienste“, so die hessischen Grünen, erworben? Der Wiesbadener Umweltminister Weimar trat gestern den Rückzug an. Vor der Presse erklärte er, daß der Bonner Energiereport (BE) tatsächlich einziger Informant der Landesregierung in Richtung Proliferationsverdacht gewesen sei. Aus schließlich aufgrund der Proliferations-Hinweise von BE-Chefredakteur Kassing habe Weimar die Staatsanwaltschaft in Hanau informiert. Ausschließlich deshalb soll dann auch Ministerpräsident Wallmann im Umweltausschuß die Frage Joschka Fischers nach einem Proliferationsverdacht bejaht haben. Weimar erklärte gestern, er habe mittlerweile Zweifel an den Informationen, die ihn am vergangenen Donnerstag dazu veranlaßt hätten, von diesem Proliferationsverdacht zu sprechen. Auch Ministerpräsident Wallmann fahndet nun nach einem „Schuldigen“ für das „voreilige“ Äußern des „ungeheuerlichen Verdacht“. Jetzt, so hört man in der hessischen Landeshauptstadt, rufe Wallmanns persönlicher Referent im Halbstundentakt bei der Hanauer Staatsanwaltschaft an, um sich nach Beweisen für die konkreten Verdachtsmomente zu erkundigen.

Grünen-Fraktionsvorsitzender Joschka Fischer nahm gestern gegenüber der taz zu Weimars Äußerungen Stellung. Fischer: „Unter dem Eindruck seiner schweren Versäumnisse ist Weimar einer Panikreaktion erlegen, und Wallmann hat dieser Panikreaktion offenbar zum Durchbruch verholfen. Beiden ist aber zu danken, denn sie haben mit dieser Panikreaktion den Schleier vor einem kriminellen internationalen Nuklear-Sumpf weggerissen.“ Die schweren Verstöße Weimars, vor deren Hintergrund die sogenannte Panikreaktion erfolgt sein soll, sind klar: Weimars Ministerium wußte schon seit Tagen von massiven „Unregelmäßigkeiten“ bei NUKEM und hielt diese Informationen zurück. Als dann noch vom „Energiereport“ der Hinweis auf Proliferation kam, „ist der durchgedreht“, so die Einschätzung politischer Beobachter.

Weimar gestern: „Ich habe den Verdacht, wenn ich es nicht gemacht hätte (den Proliferationsverdacht weitergegeben), wäre es mir sehr schlecht ergangen“. Nach seinen Erklärungen ist aber auch Wallmann erheblich unter Druck geraten. Rücktrittsgerüchte um den hessischen Umweltminister wurde gestern aber noch dementiert.

Untersuchungsausschuß in Bonn

In der CDU- und SPD-Fraktion in Bonn gibt es Bestrebungen, für den parlamentarischen Untersuchungsausschuß einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Der Ausschuß wird noch in dieser Woche eingesetzt werden. In der grünen Fraktion wird deshalb be fürchtet, daß über ein solches Agreement unbequeme Fragen ausgespart werden. Otto Schily sagte auf der Fraktionssitzung, so könnte von SPD, FDP und der Union bei der Festlegung des Untersuchungsgegenstandes Barrieren aufgebaut und u.a. die Frage der Nicht-Genehmigung der Hanauer Nuklearbetriebe ausgespart werden.

In einer Entschließung des SPD-Präsidiums vom Montag heißt es, der Auftrag werde sich auch auf die Frage erstrecken, wie der bereits vorhandene Atommüll entsorgt werden könne, und ob die Nutzung der Atomkraft nicht schon deshalb beendet werden müsse, weil das verbleibende Risiko zu hoch sei.

Die SPD-Abgeordnete und Richterin Ingrid Matthäus-Maier wurde von ihrer Fraktion als Vorsitzende des Untersuchungsausschusses nominiert. (Nach dem üblichen Turnus geht der Vorsitz an die SPD.) Der SPD-Umweltexperte Harald Schäfer wird Obmann. Für die Grünen soll Otto Schily in den Ausschuß. Er wurde gestern ohne Gegenstimme und ohne Gegenkandidatur nomiert. ..und in Wiesbaden Nachdem sie sich wochenlang gewunden und gesträubt hatte, beschloß die SPD-Landtagsfraktion gestern mittag in Wiesbaden in letzter Minute, doch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu den skandalösen Vorgängen bei den Hanauer Atombetrieben einzusetzen. Im Mittelpunkt sollen „alle Fragen im Zusammenhang mit der Entsorgung“ stehen. Mohr/Kriener/Sieber