Dregger fürchtet Schutzlosigkeit

Der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Dregger, befürchtet Wegfall des Schutzes durch US-Raketen / Europa soll an Verhandlungen zwischen USA und UdSSR teilnehmen können  ■ Aus Bonn Ursel Sieber

Für die Konservativen ist die neue amerikanische Expertenstudie über eine andere Strategie der USA ein Schlag ins Gesicht. Das wurde gestern auf einer Pressekonferenz deutlich, die der CDU/ CSU Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger zu den „Perspektiven europäischer Sicherheitspolitik“ angesetzt hatte.

Die Strategie-Überlegungen dieser Studie, die von einer hochrangigen amerikanischen Kommission unter dem Vorsitz des Staatssekretärs im Pentagon, Fred Ikle, verfaßt worden ist, bewertete Dregger mit den Worten: „Die strategischen Systeme der USA stehen für einen Abschreckungsverbund mit Europa nicht mehr zur Verfügung.“ Als Beleg zitierte der CDU-Politiker zwei Stellen aus dem Gutachten: „Das Bündnis sollte den Einsatz nuklearer Waffen nicht als ein Bindeglied zu einem noch ausgedehnteren und noch verheerenderen Krieg androhen – obwohl das Risiko einer weiteren Eskalation bestehen bleiben würde, sondern hauptsächlich als ein Instrument dafür, einer angreifenden sowjetischen Streitmacht den Erfolg zu versagen“. Und: „Wenn wir unseren Verbündeten helfen, sich zu verteidigen, können wir uns nicht auf Drohungen stützen, von denen wir erwarten müssen, daß sie unsere eigene Vernichtung auslösen, wenn sie verwirklicht werden.“ Damit würden die Gutachter eine „Strategie zur Regionalsierung der Weltkonflikte“ empfehlen, sagte Dregger, und ergänzte: „Ich warne vor einem Strategiewechsel. Der Risikoverbund der Allianz kann nicht an einer Stelle aufgelöst werden, ohne daß das Ganze in Gefahr gerät.“ In diesem Zusammenhang wurde noch einmal deutlich, daß er das Mittelstreckenwaffen-Abkommen als Fiasko ansieht: Wäre er beim Gipfel in Reykjavik dabeigeweisen, hätte er dafür plädiert, daß der Einstieg in die Abrüstung unterhalb der 500 km-Grenze erfolgt, und man hätte sich auch nicht auf Null-Lösungen, sondern auf gleiche Obergrenzen verständigt.

Gerade durch die Stationierung der Pershing II-Raketen sei der „totale Abschreckungsverbund“ zwischen Europa und den USA hergestellt worden, und er habe das Ja zur Stationierung immer als „ungeheure Solidaritätsleistung der USA“ verstanden. Aber dann seien die Amerikaner hier „beschimpft“ und ihre Fahnen „verbrannt“ worden, und außerdem hätten sich weltweit die Kräftever hältnisse verändert. Schließlich zog Dregger folgendes Fazit: „Die USA koppeln sich nicht ab, aber sie verweigern das Risiko der Eskalation“. Sie „haften nur mit den in Europa stationierten Truppen“, aber „nicht mehr mit ihren Städten“.

Dregger wandte sich gleichzeitig gegen eine dritte „Null-Lösung“ bei Raketen unter 500 km Reichweite: Die Union wolle „ganz eindeutig nicht null“, sondern einen „Mindestbestand“. Eine „Modernisierung“ dieser Raketen schloß er nicht aus. Dregger kehrte gerade von der Tagung des „Aktionskomitees für Europa“ zurück und konnte stolz darauf verweisen, daß das dort verabschiedete Ja zur atomaren Abschreckung auch von dem SPD-Politiker Egon Bahr mitgetragen wurde.

Außerdem sollte Europa an den Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion „gleichberechtigt“ teilnehmen können. Er wisse, daß Frankreich es immer abgelehnt hatte, die eigenen Atomwaffen in Verhandlungen einzubeziehen. Dregger nahm Frankreich mit dieser Position in Schutz: Diesen Standpunkt sollten alle Europäer teilen: „Die Weltmächte haben erst dann Anlaß mit Abrüstungsforderungen an die beiden europäischen Atommächte heranzutreten, wenn sie ihr eigenes strategisches Potential auf einen Stand abgerüstet haben, der etwa dem der beiden europäischen Atommächte zusammengenommen entspricht.“