Das atomare Dickicht in Mol

■ Eine Kontrolle der Firmen im belgischen „Nuklearpark“ Mol findet praktisch nicht statt

Seit vor genau einer Woche der Verdacht auftauchte, deutsche und belgische Firmen hätten den Atomwaffensperrvertrag verletzt, weisen die Manager der Atomfirmen im Komplex Mol jede Schuld weit von sich. Die Innenansicht des Nuklearparks macht jedoch klar, warum der Verdacht bis heute nicht entkräftet ist.

Der Zug hält in Mol. Kein Wunder, denn viele Wege führen nach Mol, einer weitangesiedelten Kleinstadt 50km östlich von Antwerpen. Hier hat sich die belgische Atomindustrie einen günstigen Standpunkt ausgesucht, angebunden an Schiene, Kanal und Autobahn. Das Land ist flach, und der Wind bläst heftig in die belgische Nationalflagge, die man vor dem staatlichen Atomforschungszentrum CEN in Mol immer noch zu hissen wagt.

In Brüssel spricht die Regierung von der „völligen Verwirrung“, in der man sich nach den Enthüllungen der letzten Woche befinde. Denn nicht nur das CEN ist in die Schlagzeilen geraten. Für Aufregung sorgten auch die Gerüchte, daß die belgische Top- Atomgesellschaft Belgonucleaire (BN), die in Dessel, das direkt an Mol grenzt, eine Plutoniumaufbereitungsanlage besitzt, am Geschäft mit Pakistan beteiligt sei. Natürlich ist bei den Atommanagern vor Ort von Verwirrung keine Rede. Nur schwer kommt man den Widersprüchlichkeiten der einzelnen Darstellungen auf die Spur.

Im CEN bemüht sich die Direktion zunächst, beide Affairen auseinanderzuhalten. Soweit es die Atommüllentsorgung betrifft, ist man zu Geständnissen bereit. „Wir brauchen ein Kontrollorgan für die Abfallbehandlung auf unserer Fabrikationsebene, damit die Abfälle nicht weiter vermischt oder unkontolliert hin- und hertransportiert werden können.“ Der stellvertretende CEN-Generaldirektor Stiennon hat die Lö sungen der Probleme nun schon bei der Hand. „Die Vergangenheit ist vorbei“, sagt Stiennon, und man kann den frommen Wunsch gut verstehen. Doch gut möglich, daß es hier bei Wünschen bleibt.

Längst nicht das ganze Ausmaß des Entsorgungsskandals in Mol ist aufgedeckt. So führte die belgische Chemiemüllfirma Smet-Jet auf dem Gelände des CEN Atommüllsortierungsarbeiten im Auftrag der Transnuklear durch. „Das war nicht normal. Doch ist das jetzt beendet“, sagt Stiennon, aber der belgische Europaabgeordnete Staes hält dem entgegen, daß drei ehemalige Smet-Jet- Arbeiter von Mol heute an Leukämie erkrankt sind und ein weiterer in hohem Maße radioaktiver Strahlung ausgesetzt war. Dafür wäre auch das CEN verantwortlich.

Doch Stiennon wehrt ab. Alle Verträge mit Smet-Jet seien von Transnuklear gemacht worden. Überhaupt entsteht in Mol der Eindruck, Transnuklear und Smet-Jet seien an allen Entsorgungsproblemen Schuld. Das ist auch das einfachste.

Unfreundlich werden die Herren des CEN erst, wenn man Sie nach Ihrer Pakistan-Connection befragt. Da gibt es anscheinend nichts zu berichten, da werden „weltweit unkontrollierte Informationen verbreitet“. Doch sei zugestanden, daß wenn von Berichten über von Belgien nach Pakistan entführtes Plutonium oder Uran235 die Rede ist, schwerlich das CEN verdächtigt werden kann.

Fragen stellen sich vielmehr über den Technologietransfer von Mol nach Islamabad. Die Kontrolle der öffentlichen Behörden über die Aktivitäten der CEN- Chefs Amelinckx, Dejonghe und Stiennon in Pakistan hat hier offensichtlich ausgesetzt. Selbstverständlich spricht Stiennon nur von einem zufälligen „diner“ mit den Verantwortlichen des pakista nischen Militärprogramms (s. Interview). Die Pakistan-Connection führt uns weiter zu Belgonucleaire (BN) nach Dessel, nicht weit vom CEN entfernt.

Im Auftrag des belgischen Staats hält das CEN 50 Prozent der BN-Aktien, doch gibt Stiennon zu, daß es von Seiten des CEN wenig Kontrolle über BN gibt, und daß dies auch schon Anlaß für Kritik war und sich nun ändern soll.

Anders als in Mol wird in Dessel fast ausschließlich mit „sensibelen“ Material gearbeitet. Hier stellt BN Plutoniumbrennstoffe her, sowohl für das MOX-Verfahren als auch für die Schnellbrüter in Malville und Kalkar. „Ich habe mit den Vorwürfen keine Schwierigkeiten“, meint Jean-Marie Leblanc, BN-Chef in Dessel, doch seine Lippen zittern. Kategorisch weist Leblanc alle Vermutungen zurück, BN habe über eine „Studie vor fünfzehn Jahren bezüglich eines Labors für Experimente mit geringen Mengen von spaltbaren Material“ hinaus mit Pakistan kollaboriert.

Die Erklärungen der pakistanischen Atombehörde PAEC, denen entsprechend BN Pakistan „in die Lage versetzte, das notwendige Plutonium für eine Bombe zu produzieren“, weist er als unvorstellbar zurück. Leblanc hat dagegen viel über viel zu sagen. Er erzählt über Smet-Jet, und daß es sich hier um eine Firma handele, mit der er kein Wort reden würde, er berichtet über die finanzielle Hilflosigkeit des CEN. In der Bedrängnis teilen auch Atommanager Seitenhiebe aus, auch wenn man doch sonst immer vorgibt, sich prima miteinander zu verstehen. Das Mol-Dessel- Gelände, wo die belgische Atomindustrie geballt steht, sei eine für die Atomkraft günstige Struktur, meint Leblanc trotzdem. Richtig, der Atomfilz ist in Belgien nirgendwo so dick, Kontrollen nirgendswo so unmöglich. Wußte man das auch in Pakistan? Georg Blume