Der Bock Degussa wird neuer Gärtner bei NUKEM in Hanau

■ Der vermeintliche Retter der Hanauer Firmen ist selbst in den Skandal verwickelt / Degussa verschleppte die Selbstanzeige der Transnuklear / NUKEM-Geschäftsberichte geprüft und in Ordnung befunden

Berlin/Bonn (taz/ap) – Der Retter der NUKEM, die Frankfurter Degussa, die die Hanauer Skandalfirma seit gestern in „unternehmerischer Obhut“ hat, steckt selbst mitten im Sumpf. Das zu 35 Prozent an der NUKEM beteiligte Unternehmen mußte gestern in einer Firmenerklärung zugeben, daß es schon am 16. März 1987 von Schmiergeldzahlungen und Unterschlagungen bei der NUKEM- Tochter Transnuklear gewußt hat. Doch erst am 7. April, exakt zwei Tage nach der hessischen Landtagswahl wurde die Bestechungsaffäre durch Selbstanzeige der Transnuklear erstmals öffentlich. Nach Recherchen der „Tagesthemen“ soll die Degussa die Selbstanzeige bewußt verzögert haben.

Wie Degussa einräumt, wurde der Leiter der Steuerabteilung Mayer-Wegelin, vom Geschäftsführer der Transnuklear, Fischer, am 16. März über die „Vorgänge“ unterrichtet. Eine sofortige Selbstanzeige sei angeblich nicht möglich gewesen, weil man zuvor eine „vollständige und durch Zahlen belegte Darstellung“ benötigt habe. Außerdem habe die Rechtsabteilung der NUKEM noch die strafrechtlichen Konsequenzen überprüfen sollen. Das dauerte exakt bis zur Landtagswahl.

Die Mitverantwortung der Degussa zeigt sich an weiteren Punkten: So hat die Steuerabteilung des Unternehmens seit der NUKEM- Gründung eng mit dieser zusammengearbeitet. Die Geschäftsberichte des Skandalunternehmens und seiner Tochter Transnuklear sind außerdem von der Degussa kontrolliert worden. Auch dies bestätigte das Unternehmen. Bei den Buchprüfungen seien aber keine Manipulationen aufgefallen. Zusammen mit dem Hauptanteileigner RWE und der Metallgesellschaft hat Degussa bis Ende 1983, so Firmensprecher Lange, die Abschlußprüfungen der Geschäftsberichte erledigt.

Ab 1984 sei dies auf externe Wirtschaftsprüfer übertragen worden.

Als Belohnung für diese Verwicklung in dem Skandal sind, wie gestern die Hanauer Bürgerinitiativen und der Bund Naturschutz kritisierten, die Degussa-Leute Gert Becker und Bernd Liebmann zu Spitzenfunktionen bei Nukem aufgerückt. Liebmann übernimmt die Geschäftsführung, Becker den Aufsichtsratvorsitz. Doch beide, so Eduard Bernhard vom Bund Naturschutz, saßen bisher schon an verantwortlicher Stelle im Aufsichtsrat der NUKEM. Dieser ist laut Aktiengesetz unter anderem für folgende Aufgaben zuständig (Vahlens großes Wirtschaftslexikon):

– für die Überwachung der Geschäftsführung

– für die vorbeugende Kontrolle bei zustimmungspflichtigen Geschäften

– für die Prüfung des Jahresabschlusses.

Becker und Liebmann hätten damit, so Bernhard, ihre Aufsichtsratspflichten klar verletzt. Es sei unerträglich wenn die beiden Repräsentanten des alten Filzes jetzt an die Spitze des Unternehmens rückten.

Unterdessen will die Bundesregierung den Atommüll-Skandal und insbesondere den Verdacht des Verstoßes gegen den Atomwaffensperrvertrag offenbar rasch begraben. Regierungssprecher Ost erklärte, alle „Gerüchte und Unterstellungen“ hätten sich als „haltlos erwiesen“, sie „entbehrten jeglicher Grundlage“. Deshalb müsse nun „endgültig Schluß gemacht“ werden mit „unbewiesenen Spekulationen“.

Bundesreaktorminister Töpfer erklärte unterdessen, ob es mit der Atomenergie weitergehe, sei „für viele eine offene Frage“. Für eine Mehrheit der Bevölkerung ist diese Frage derzeit offenbar nicht offen. Nach einer in der neuesten Ausgabe des Stern veröffentlich ten Umfrage sind 16 Prozent der Wahlberechtigten für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie, 47 Prozent für den allmählichen Verzicht.

Das Freiburger Öko-Institut hat unterdessen die Bundesregierung aufgefordert, als Konsequenz aus dem Atommüll-Skandal den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie einzuleiten. In einem am Mittwoch Bundesreaktorminister Töpfer vorgelegten Ausstiegskonzept fordern die Wissenschaftler als erste Maßnahme ein Gesetz zur Stillegung aller Atomanlagen. Töpfer lehnte die Vorschläge erwartungsgemäß ab.

In Sachen Untersuchungsausschuß, der heute im Bundestag beschlossen wird, einigten sich Regierungsfraktionen und SPD gestern auf ein ungewöhnliches Verfahren: Sie wollen sich heute wechselseitig bei den „gegnerischen“ Anträgen enthalten.Dadurch soll erreicht werden, daß nur ein Ausschuß beschlossen, aber sein konkreter Untersuchungsauftrag offengelassen wird. Die Regierungsfraktionen legten für den Ausschuß einen enger gefaßten Auftrag vor, der erstrangig auf die aktuellen Vorgänge um Transnuklear abzielt, während die SPD die Entsorgungssituation breiter thematisieren will. Der weitestgehende Antrag der Grünen, die die Verantwortung der Bundesregierung und anderer staatlicher Instanzen in den Mittelpunkt stellen, hat heute ohnehin keine Chance. Die Bundestags-Juristen prüften gestern nachmittag noch, ob das zwischen CDU/CSU/FDP und SPD ausgekungelte Verfahren rechtlich möglich ist. Kriener/Rosenkranz/Wiedemann