König Arthur regiert den Untergang der Kohle

Trotz zahlreicher Niederlagen und Mißerfolge hat der Führer der britischen Bergarbeitergewerkschaft, Arthur Scargill, gute Chancen, erneut zum Präsidenten gewählt zu werden / Sein blasser Herausforderer hat praktisch keine Chancen  ■ Aus London Rolf Paasch

Er redet wie früher; ruhig beginnend, steigert er sorgfältig die Dramaturgie seiner Worte, versetzt den Fluß seiner Rede mit Attacken beißenden Humors auf seine Gegner im britischen Establishment. Mit dem Geschick eines Demagogen im sokratischen Athen steuert er seine Ansprache ihrem Höhepunkt zu: der Warnung vor neuem Übel und der Beschwörung solidarischen Kampfes. Und sie hören ihm zu wie früher, gebannt und beeindruckt von seinem kämpferischen Redefluß, als wäre in der Zwischenzeit nichts geschehen. Dabei wissen die 150 walisischen Kumpel, die an diesem Abend in die vollgepackte „Pontyberem Memorial Hall“ gekommen sind, daß die Zeit nach der schweren Niederlage im großen Streik von 1984 nicht spurlos an ihrer Industrie vorübergegangen ist. Hier in Wales haben seitdem 15 Zechen dichtgemacht. Landesweit hat sich die Zahl derer, die unter Tage das schwarze Gold schürfen, in den letzten fünf Jahren auf 100.000 halbiert. Die einst so mächtige Gewerkschaft, die „National Union of Mineworkers“ (NUM) ist seitdem gespalten. Die Lohnzuwächse hinken hinter denen in anderen Industriezweigen hinterher; ein neuer Disziplinierungscode wurde den Bergleuten auferlegt und die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist nur noch eine Frage der Zeit. „Sechstagewoche oder keine neue Zeche“, so lautet das Angebot von „British Coal“ für die nur zwei Täler weiter östlich geplante Superzeche von Margam. Friß oder stirb, Kumpel! Doch Arthur Scargill, King Arthur, wie der Führer des von der Regierung Thatcher so brutal dezimierten Bergarbeitervolkes immer noch genannt wird, scheint von dieser Realität unbeeindruckt. Realismus ist für ihn immer noch ein schmutziges Wort, mit dem er seinen Herausforderer im Wettstreit um das Präsidentenamt der Gewerkschaft beschimpft. Kampfbereitschaft, Prinzipientreue, Loyalität: „Mir kann man alles vorwerfen“, sagt er, „aber nicht, daß ich die Miners betrogen habe“.

Scargill fordert das Ende des Disziplinierungscodes, das Ende der Atomkraft, die Viertagewoche in den Bergwerken. Flexible Schichten, so verkündet er, würden nur weitere 40.000 Arbeit auf die damals Streikenden. „Kniet nieder und bereut all die Lügen, die ihr über uns verbreitet habt“, ruft er wohlgelaunt den Presseleuten zu, die sich in der ersten Stuhlreihe niedergelassen haben. „Uns“, und Arthur zeigt erneut auf die hilflosen Schreiber linge, „verbindet eine Art Haßliebe. Sie lieben mich und ich hasse sie.“ Und weiter geht die Parade der Feinde in Arthurs rhetorischem Potpourri: Die Führer der Streikbrechergewerkschaft UDM, der Kohlechef, Minister und Margaret Thatcher. „Habt Ihr Euch schon mal überlegt, warum die alle wollen, daß ihr Joe Walsh zu Eurem neuen Präsidenten wählt?“ Was für eine Empfehlung. Arthur Scargill hat den Saal längst auf seiner Seite. Dabei gibt es gerade hier in Süd-Wales viele, die seinen autoritären Führungsstil seit Ende des Streiks heftig kritisiert haben. Die regionale NUM- Führung hat gar gegen seine Kandidatur gestimmt. Der „Stalinismus“ der Scargill-Clique im Hauptquartier von Sheffield ist gerade in der linken Hochburg von Süd-Wales vielen Gewerkschaftern suspekt. Siebzig Prozent der walisischen Kumpel haben gerade gegen die Ausweitung des Überstundenboykotts gestimmt, die Scargill gefordert hatte. Und viele der Männer in den deindustrialisierten Tälern zwischen Camarthen und Cardiff würden eine Sechstagewoche und 800 neue Arbeitsplätze in der geplanten Superzeche dem von Scargill gepredigten sturen Widerstand vorziehen.

Dennoch würde von denen, die heute abend hierher gekommen sind, kaum einer einen so gesichtslosen Kandidaten wie Arthurs Herausforderer Joe Walsh wählen. „Der“, so formuliert es ein Steiger, „bringt uns doch überhaupt nicht weiter“. Dann lieber eine Führung, die kämpfen wird. „Wie“, so fragt am Ende einer der Männer Arthur Scargill, „kann unsere Gewerkschaft denn wieder an ihre ruhmreiche Vergangenheit anknüpfen?“ Was für eine Frage. 1947 gab es noch 1.000 Zechen mit 700.000 Bergleuten. Demnächst werden es noch siebzig Bergwerke mit 60.000 Arbeitern sein. Die Überflüssigen und Übriggebliebenen in den schrumpfenden Kohlefeldern sind nicht nur in Wales voller Empörung und Trauer über ihre Umsiedlung aus dem Zentrum der Industriegesellschaft an die Peripherie einer „Leisure Society“. Gleich nebenan, wird die ehemalige Zeche von Merthyr Lewis, in der sie vor vier Jahren noch geschuftet haben, zum Bergwerksmuseum mit historischem Freizeitpark umgebaut. Gesellschaftlich deplaziert und deklassiert, würde ein stiller Abgang den Männern auch noch das letzte nehmen, was sie noch besitzen: ihren Stolz. Deswegen zogen sie auch in dem einjährigen Streik die glorreiche Niederlage einer kompromißlerischen Kapitulation vor. „Kämpft Leute“, ruft ihnen Arthur Scargill auch nach dieser weiteren Niederlage zu. Als er die „Pontyberem Memorial Hall“ verläßt, zweifelt kaum einer der Kumpel daran, daß Scargill erneut zum Präsidenten der „National Union of Mineworkers“ gewählt wird.